Wir fordern die sofortige Evakuierung aller bedrohten Menschen aus Afghanistan

Erst jetzt hat die Bundesregierung damit begonnen, deutsche Staatsbürger*innen und ehemalige Ortskräfte aus Afghanistan auszufliegen. Voraussichtlich angesetzt ist die Operation bis zum 31. August. Die Evakuierung muss schneller, umfassender und ohne bürokratische Hürden ablaufen.

Es ist keine Zeit zu verlieren. Das dürfte nach den drastischen Fehleinschätzungen der vorgegangenen Tage klar sein. Die Kapazitäten der Evakuierung müssen erhöht und auf weitere schutzbedürftige Gruppen ausgeweitet werden. Es ist die humanitäre Verpflichtung der Bundesrepublik, jetzt so viele Menschenleben zu retten wie noch möglich. Wir fordern die sofortige Einrichtung einer Luftbrücke aus Kabul!

Deutschland muss dafür sorgen, dass nicht nur deutsche Staatsbürger*innen und ehemalige Helfer*innen deutscher Organisationen und Einrichtungen in Sicherheit gebracht werden. Es braucht auch ein sofortiges und unbürokratisches Schutz- und Ausreiseprogramm für Menschenrechtler*innen, Journalist*innen, Mitarbeiter*innen von Nichtregierungsorganisationen, Künstler*innen, Frauen, Trans- und nicht binäre Personen sowie für Menschen, die bisher noch auf ein Visum warten, um zu ihren Familien in Deutschland zu können.

Die fatale Lage in Afghanistan ist kein Missgeschick. Menschenrechtsorganisationen warnen bereits seit Langem vor einem solchen Szenario. Jetzt sind Tausende Menschen akut bedroht. Umso beschämender ist die Haltung der Bundesregierung, die aus Angst vor Kampagnen gegen Geflüchtete lieber Menschenleben als Umfragewerte aufs Spiel setzte. Einen Wahlkampf mit dem Thema Asyl für hilfesuchende Afghan*innen wollten CDU/CSU und SPD nicht riskieren. Nun werden Afghan*innen, die sich für Demokratie und Gleichberechtigung eingesetzt haben, den Taliban überlassen. Das ist ihr Todesurteil.

Es gab genug Möglichkeiten, rechtzeitig zu handeln. Am 23. Juni 2021 lehnten die Koalitionsfraktionen zusammen mit der AfD einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „zur großzügigen Aufnahme afghanischer Ortskräfte“ ab. Die FDP enthielt sich. Nur die Linkspartei stimmte mit den Grünen für den Antrag. Noch bis vor wenigen Tagen forcierte die Bundesregierung Abschiebungen nach Afghanistan. Erst kürzlich schrieb Innenminister Seehofer mit fünf Ministerkollegen aus Österreich, Dänemark, den Niederlanden, Belgien und Griechenland einen Brief an die EU-Kommission. Die Politiker bestanden darauf, abgelehnte Asylbewerber weiter nach Afghanistan abschieben zu können.

Das unmenschliche Agieren der Bundesregierung und das ständige Fischen am rechten Rand kostet Menschenleben – gegenwärtig in Afghanistan und seit Jahrzehnten an den EU-Außengrenzen.

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die momentane Betroffenheit erlischt und der Wahlkampf auf Kosten der Schutzsuchenden geführt wird. Eine Einleitung dafür dürfte Armin Laschets Hinweis sein: „2015 soll sich nicht wiederholen“. Wir verurteilen die rassistische Haltung dahinter – als sei die humanitäre Aufnahme syrischer Schutzsuchender im Jahr 2015 für die deutsche Gesellschaft schlimmer gewesen als für die Geflüchteten selbst.

Unter dem Deckmantel eines Einsatzes für Demokratie und Menschenrechte intervenieren westliche Mächte bereits seit Jahrzehnten in afghanische Strukturen. Jetzt gilt es, diese propagierten Werte tatsächlich in die Praxis umzusetzen und afghanischen Schutzsuchenden schnell, massiv und unbürokratisch zu helfen. Jede Minute zählt.