„Spätestens nach der jüngsten Wahl in Thüringen müssen sich Gesellschaft und Politik der Realität stellen, dass die Wähler*innen die AfD nicht trotz, sondern auch wegen rechtsextremer Positionen wählen. Dieses Ergebnis ist ein Schlag ins Gesicht für jede Demokratin* und jeden Überlebenden des Holocaust“, sagt Ferda Ataman, Sprecherin der neuen deutschen organisationen.
„Die gesamte Arbeit der Migrant*innen-Organisationen ist durch das Erstarken der AfD akut in Gefahr. Wir fordern daher eine politische und finanzielle Stärkung des Engagements von Migrant*innen im Osten“, sagt Ayman Qasarwa aus Thüringen, Geschäftsführer des Dachverbands der Migranten*innen-Organisationen in Ostdeutschland (DaMOst). Die Befürchtungen kommen nicht von ungefähr: Mamad Mohamad, Geschäftsführer des Landesnetzwerks der Migrant*innen Organisationen in Sachsen-Anhalt (LAMSA), wo die AfD 2016 mit 24,3 Prozent in den Landtag gewählt wurde, sagt: „Die AfD fordert vehement, den Finanztopf für Integration auf Null zu setzen. Ihre gesamte Strategie zielt darauf ab, uns unter Verdacht zu stellen, unsere zivilgesellschaftliche Arbeit zu diffamieren und lahm zu legen.“
„Die Rhetorik von der ‚Wende 2.0’ ist perfide, da sie sich unmissverständlich an weiße Deutsche richtet und für diejenigen, die nicht dazu zählen, wie eine Kampfansage liest“, sagt Mohamad von LAMSA. Das habe schon jetzt konkrete Auswirkungen: „Mit dem Aufstieg der AfD sind auch die Rassismuserfahrungen im Alltag drastischer geworden. Wir brauchen dringend unabhängige Beschwerde- und Beratungsstellen, damit Menschen, die von Rassismus betroffen sind, rechtliche und psychische Hilfe bekommen“, so Ayman Qasarwa von DaMOst.
„Was jetzt aber nicht passieren darf, ist, das Erstarken der AfD als gegeben hinzunehmen und als ostdeutsches Phänomen abzutun“, sagt Ozan Zakariya Keskinkılıç, Politikwissenschaftler und ndo-Vorstandsmitglied. Zwei Jahre war Keskinkılıç bei der Enquete Kommission gegen Rassismus und Diskriminierungen des Thüringer Landtages sachverständiges Mitglied für die Linksfraktion. Die Kommission wurde vor dem Hintergrund des NSU ins Leben gerufen. Kürzlich hat sie ihren Abschlussbericht mit zahlreichen Handlungsempfehlungen und Maßnahmen zum Abbau von Rassismus vorgelegt. „Es ist auffällig, wie wenig der Bericht von den bundesweiten Medien beachtet wurde – das zeigt, wie sehr die verhandelten Themen als Thüringer Lokalproblem betrachtet werden. Dabei sind die in dem Bericht vorgeschlagenen Maßnahmen bundesweit relevant.“
Um einem weiteren Rechtsruck entgegenzuwirken und die Demokratie in der Migrationsgesellschaft wehrhaft zu machen, müsse das Thema Rassismus grundlegend angegangen werden: „Rassismus darf nicht nur als individuelle Einstellungsverfehlung betrachtet werden, es muss als strukturelles und institutionelles Problem anerkannt und angegangen werden. Erst dann können gezielte und umfängliche Maßnahmen gegen Rassismus etabliert werden“, sagt Keskinkılıç.