Am 21. Januar 2005 hat der Bundestag in erster Lesung über ein Antidiskriminierungsgesetz debattiert. Viele denken noch heute, das Gesetz sei ein zahnloser Tiger und nicht so wichtig, denn der Schutz vor Diskriminierung sei ja bereits in Artikel 3 des Grundgesetzes verankert. Das GG regelt aber zum einen nur das Verhältnis zwischen Staat und Bürger*innen, nicht zwischen Bürger*innen untereinander. Im Arbeits- und Zivilrecht war lange Zeit der Umgang mit Diskriminierung von Frauen, Menschen mit Behinderung, Schwarzen, People of Color und vielen anderen nicht geregelt. Außerdem sind die Diskriminierungsmerkmale des AGG zum Teil andere als die im GG und das AGG konkretisiert den Auftrag des Diskriminierungsverbotes. Trotzdem hat Deutschland erst dann ein Antidiskriminierungsgesetz eingeführt, als es gezwungen war, verschiedene EU-Richtlinien umzusetzen. So trat das Gesetz letztlich nach langen, harten Verhandlungen am 18. August 2006 in Kraft. Die von Kritiker*innen befürchtete Klageflut blieb aus. Im Gegenteil: Das Gesetz, kommt erstaunlich selten zum Einsatz. Schwarze Expert*innen und Fachleute of Color sehen dringenden Verbesserungsbedarf bei dem AGG, damit ein umfassender und tatsächlicher Diskriminierungsschutz möglich wird.
Pressestatements:
„Deutschland hat eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in der EU. Bei uns wird der Schutz vor Diskriminierung offenbar eher als Luxuspolitik gesehen: Kann man machen, muss man nicht. Das ist falsch. Chancengleichheit ist ein Menschenrecht. ”
Ferda Ataman, Sprecherin neue deutsche organisationen (ndo)
„In Puncto Diskriminierungsschutz gibt es bei dem AGG noch viel zu tun. Handelt eine öffentliche Stelle, wie eine Schule oder die Polizei (Stichwort: Racial Profiling) diskriminierend gegenüber einer Privatperson außerhalb von Arbeitsverhältnissen, greift das AGG nämlich leider nicht. Die Berliner Regierung hat letztes Jahr als erste Landesregierung in Deutschland den Entwurf eines Landesantidiskriminierungsgesetzes eingebracht, das hoffentlich in den kommenden Wochen vom Abgeordnetenhaus verabschiedet wird. Das LADG soll diese Schutzlücken schließen und Betroffenen von Diskriminierung durch öffentliche Stellen Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung geben. Außerdem enthält es eine Beweislasterleichterung, ein Verbands-klagerecht und sieht die Einrichtung einer Ombudsstelle vor. Es bleibt zu hoffen, dass andere Bundesländer sich ein Beispiel daran nehmen und entsprechende Landesgesetze für einen umfassenden Diskriminierungsschutz verabschieden.“
Armaghan Naghipour, ndo-Vorstand, stv. Vorsitzende DeutschPlus, Rechtsanwältin, Persönliche Referentin des Berliner Senators für Justiz
„Das AGG muss ausgebaut werden. Der sozio-ökonomische Status als Merkmal fehlt, dies ist ein sehr wichtiger Diskriminierungsgrund für viele Mitbürger*innen. Dies zeigt die Notwendigkeit nach einem offenen Merkmalskatalog, der sich an der Erfahrung der Betroffenen orientiert. Das AGG muss flankiert werden von unabhängigen Ombudsstellen gegen Diskriminierung und Diskriminierungsbeauftragten auf Bundesebene.“
Meral El, ndo-Geschäftsführerin
„Wir brauchen endlich ein robustes Verbandsklagerecht, damit die Klagelast nicht an Einzelnen hängt, sondern von vielen Schultern, vor allem Organisationen, getragen werden kann. Momentan ist auch in offensichtlichen Fällen von Diskriminierung die Belastung für Einzelne viel zu groß. Es muss möglich sein, dass Organisationen aktiv werden können.“
Daniel Gyamerah, ndo-Vorstand, Vorstand Each One Teach One (EOTO) e.V.
„Die Bundesgesetzgebung orientiert sich an «Merkmalen», aber niemand wird z.B. «wegen der Herkunft» oder «des Geschlechts» diskriminiert. Benachteiligung gibt es wegen Rassismus und Sexismus – und die wirken zusammen. Um die Mängel beim AGG auszugleichen, sind Landesgesetze, die staatliche Formen der Diskriminierung und zusätzlich mindestens die soziale Herkunft als Diskriminierungsmerkmal mitaufnehmen, wichtig.“
Koray Yılmaz-Günay, Geschäftsführer Migrationsrat Berlin, Verleger