Die Corona-Krise ist auch eine Krise der sozialen Ungleichheit. Es drohen jahrzehntelange Folgen. Die Bundesregierung muss dringend reagieren.

Die Corona-Schutzpolitik endet. Seit Sonntag sind viele Beschränkungen weggefallen. Durch die Pandemie entstandene Schäden bleiben aber bestehen. Ungleichheiten wurden vertieft, mit den Folgen werden Betroffene auf Jahre hinaus leben müssen. Die Bundesregierung muss mit einer diskriminierungssensiblen Gesundheits- und Sozialpolitik entgegenwirken.

Migrant*innen sind bis zu 21% häufiger von Ansteckungen durch die Pandemie betroffen1. Auch weil sie besonders häufig in „systemrelevanten“ Berufen wie der Pflege, dem Einzelhandel oder der Logistik arbeiten2. Ein Ende der verbindlichen Maßnahmen, etwa die Aufhebung der Maskenpflicht im Einzelhandel, setzt sie einem noch höheren Risiko aus. Dabei haben diese Menschen bereits besonders unter den Auswirkungen der Pandemie gelitten – zum Beispiel durch Einkommensverluste. Denn je niedriger das Einkommen vor der Krise war, desto größer waren die Einbußen während der Pandemie. Diese Gleichung gilt gerade für Menschen mit Migrationshintergrund.3 Die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen halfen vor allem Menschen, die erstmals auf Mindestsicherungs-systeme angewiesen waren. Geringverdiener*innen blieben dagegen außen vor. Wer auf Sozialleistungen angewiesen war, erhielt gerade einmal 150 Euro zusätzlich sowie Anspruch auf zehn kostenfreie FFP2 Masken – insgesamt und für den gesamten Pandemiezeitraum. Das reicht bei weitem nicht und zeigt, wie wenig arme Menschen von der Politik berücksichtigt werden.

Diese Ignoranz des Sozialstaates manifestiert sich auch im Gesundheitswesen. Sprachbarrieren, sozioökonomischer Hintergrund und Diskriminierungserfahrung führen zu einer schlechteren Gesundheits-versorgung. In einer Petition der neuen deutschen organisationen, dem Bundesfachnetz Gesundheit und Rassismus und dem Netzwerk Black in Medicine fordern 3.500 Unterzeichner*innen besseren Corona-Schutz für Diskriminierte Gruppen und eine gleichwertige Gesundheitsversorgung, unabhängig von sozialem Status, Herkunft, Nationalität, Aufenthaltsstatus und Sprache. Denn Pandemie ist mitnichten vorbei. Zahlreiche Folgen der Corona-Krise werden sich sogar erst im weiteren Verlauf der Zeit zeigen. Zum Beispiel wirkten sich die Schwächen des Bildungssystems in der Pandemie besonders drastisch aus – wer zu Hause keine Unterstützung erhalten konnte und keinen Platz zum Lernen hatte, dessen Chancen verschlechterten sich. Dies wird sich auf den Lebensweg von Betroffenen nachhaltig negativ auswirken. Zusätzlich nahm die Beschäftigungsquote von Frauen in der Pandemie ab – weil diese überproportional häufig Kinderbetreuung und Haushalt übernahmen. 4 Auch dadurch verschärfte sich die soziale Ungleichheit. Um diese Rückschritte auszugleichen, muss die Bundesregierung jetzt handeln.

Zwei Regierungen haben bisher die Chance verpasst, auf die Pandemie mit tiefgreifenden Reformen zu reagieren und für die nächste Gesundheitskrise vorzusorgen. Das ist besonders bitter für diejenigen, die von rassistischer Diskriminierung betroffen und arm sind. Gerade für sie hat die Pandemie schwerwiegende gesundheitliche, soziale und ökonomische Konsequenzen. Die Bundesregierung muss diese dringend abfedern. Dazu gehören eine längst überfällige Antidiskriminierungsoffensive im Gesundheitswesen, um das Recht auf Gesundheit allen Betroffenen zu ermöglichen, sowie eine Sozialpolitik, die verschärfte Ungleichheiten bekämpft.

 

 

1 Kompetenznetz Public Health, 31.3.2021: https://www.public-health-covid19.de/images/2021/Ergebnisse/SARS_COV_2_bei_MigrantInnen_Policybrief_v10.pdf

2 Samir Khalil, Almuth Lietz, Sabrina Mayer, DeZIM, 25.5.2020: https://dezim-institut.de/fileadmin/Publikationen/Research_Notes/DRN_3_Systemrelevante Berufe/ResearchNotes_03_200525_web.pdf

3 Hans Böckler Stiftung, August 2020: https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-corona-verstarkt-die-ungleichheit-28843.htm

4 Jutta Allmendinger, Zeit, 1.3.2022: https://www.zeit.de/gesellschaft/2022-02/corona-gleichstellung-studien-frauen-geschlechterrollen