„Wir sollten ausnutzen, dass wir aus so vielen verschiedenen Ecken der Gesellschaft kommen und uns als Netzwerk ganz klar gegen Rechts positionieren.“ Interview mit Sheila Mysorekar

Sheila Mysorekar tritt die Nachfolge von Ferda Ataman als ndo-Vorstandsvorsitzende ant. Viele kennen Sheila bereits, durch ihre Arbeit als Journalistin und aus dem Vorstand sowie als Gründungsmitglied der neuen Medienmacher*innen. Außerdem arbeitet sie als Beraterin für konfliktsensiblen Journalismus und Medien in Post-Konflikt-Staaten bei der Deutschen Welle Akademie und bildet Journalist*innen in Konfliktländern aus, unter anderem in Libyen, Libanon und dem Südsudan. Um Sheila willkommen zu heißen, haben wir auch mit ihr ein spannendes Interview geführt und wissen jetzt, wie wir sie zum Lachen bringen können, was sie aktuell in unserer Gesellschaft fassungslos macht und wohin sie mit uns als ndo gehen will. Wir freuen uns auf die Arbeit mit dir, wir freuen uns auf dich, liebe Sheila!

Was bringt dich zum Lachen?
Ironie und schwarzer Humor. Da steh ich drauf.

Was vermisst du im Lockdown am meisten?
Freund*innen zu sehen und zu umarmen. Ich bin ein total sozialer Mensch…

Kannst du uns aktuell jemanden empfehlen zb. Autor*in, Sänger*in, inspirierende Person?
Es gibt einen tollen jungen vietnamesisch-amerikanischen Autor namens Ocean Vuong. Er hat erst zwei Bücher veröffentlicht, aber die sind großartig, vor allem der Roman „Auf Erden sind wir kurz grandios“. (Titel: Auf Erden sind wir kurz grandios. und Nachthimmel mit Austrittswunden. Gedichte.)

Du hast lange bzw. immer wieder im Ausland gelebt und arbeitest als Trainerin für konfliktsensiblen Journalismus. Beeinflussen diese Erfahrungen dein Engagement in der deutschen Gesellschaft, und wenn ja, wie?
Ja, auf jeden Fall. Zum einen ähneln sich viele Dinge, die in verschiedenen Ländern passieren, z.B. falsche Informationen, die veröffentlicht werden. Das betrifft die verschiedensten Ecken der Welt.

Zum anderen fallen mir, weil ich in vielen Ländern gelebt habe, vor allem die absurden Stereotype auf, die existieren. Beispielsweise über afrikanische Länder: bezüglich Ostafrika – etwa Kenia – hört man z.B. oft die lapidare Frage „Haben die da überhaupt Internet?“, während ich die krasse IT- und Entwickler-Szene dort kenne und daher weiß, dass es total anders ist als dargestellt. Mir fällt auch viel mehr auf, was für gravierende Auswirkungen diese falschen Behauptungen haben.

Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb ich vor den ndo bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen so intensiv aktiv war, weil es mir u.a. am Herzen liegt, diese Stereotype aufzuklären.

Welches Thema in Bezug auf die gegenwärtige gesellschaftliche Lage in Deutschland treibt dich momentan um? 
Das, was gerade alle beschäftigt: wie dilettantisch hier eine Pandemie gemanagt wird. Das geht sicherlich den meisten Leuten gerade so. Was mich ansonsten seit geraumer Zeit umtreibt, ist der Fakt, dass die Rechten immer stärker werden und dass das keine*n so besonders zu interessieren scheint. Ich bin immer wieder fassungslos, dass das so ist.

2021 ist das „Super-Wahljahr“ – was erwartest du von den Parteien für die kommenden Jahre? Welche Themen müssen sie dringend auf die Agenda nehmen?
Ich erwarte von allen Parteien, dass niemand mit der AfD koaliert. Es muss eine ganz klare Kante gegen die AfD und gegen rechte Parteien geben, und zwar nicht nur im Bundestag und Landtag, sondern auch in den Kommunen. Und dort geschieht das eben oft nicht. Ich bin entsetzt, wieviel Zusammenarbeit es auf kommunaler Ebene tatsächlich gibt.

Außerdem sollten alle Parteien mal auf den Kalender gucken – wir haben 2021, diese Gesellschaft ist vielfältig. Daher erwarte ich zukunftsfähige Politik und keinen Rückschritt in die 50er. Die Parteien müssen Realitäten anerkennen, denn Fakt ist, wir sind eine Migrationsgesellschaft.

Alle Parteien sollten sich um Vielfalt in den eigenen Reihen kümmern. Vor allem die Grünen, die sich ja bereits gegenüber Vielfalt öffnen, sollten das auch im Rahmen ihrer eigenen Aufstellung mehr tun. Sie haben vor Jahren recht früh eine Frauenquote eingeführt, daher wäre es an der Zeit, diese Quote auch für BIPOCs einzuführen. Diese müsste natürlich mit weiteren rassismuskritischen Strategien einhergehen.

Du hast in deiner Kolumne SCHWARZ AUF WEIß bei neues deutschland mal erwähnt, dass Meinungsvielfalt in deutschen Medienhäusern eine Herausforderung darstellt und von Rechten beeinflusst wird. Kannst du das nochmal näher ausführen?
Rechte bedienen sich vor allem der sozialen Medien oder auch der Hörer- bzw. Zuschauerpost, um Druck auszuüben. Dabei sind das meist nicht einzelne Leute, sondern hier wird sehr koordiniert und aktiv vorgegangen: auf rechten Webseiten wird bspw. bei „strittigen“ Beiträgen dazu aufgefordert, den Redaktionen Druck zu machen. Das bedeutet, dass aus der Leserschaft dann so viele negative Zuschriften kommen, dass Redaktionen oft einknicken und sich denken: „Wir müssen ausgewogenere Perspektiven darstellen“, was allerdings bedeutet, dass sie dadurch auch rechte Perspektiven darstellen.

Viele Redaktionen verstehen nicht, dass diese Leserbriefe, Hörerpost oder Kommentare nicht einfach von „besorgten Bürger*innen“ kommen, sondern, dass organisierte Rechte diese Mittel instrumentalisieren. Redaktionen müssen das auf dem Schirm haben und diese Art von Zuschriften mit Vorsicht genießen, vor allem recherchieren, wer dahintersteckt. Dann könnte anders damit umgegangen werden. So richten viele Redaktionen ihre Programme nach der vermeintlichen Zuschauerbeteiligung aus, anstatt diese richtig als rechtes Druckmittel einzuordnen.

Gibt es Schwerpunkte, auf die du während deiner Zeit als Vorsitzende ein besonderes Augenmerk legen willst? Was willst du mit den ndo angehen?
Wir sollten ausnutzen, dass wir aus so vielen verschiedenen Ecken der Gesellschaft kommen und uns als Netzwerk ganz klar gegen Rechts positionieren. Auch in Kooperation mit anderen Organisationen oder Netzwerken. Wir sollten uns breit aufstellen und als geeinte Stimme sprechen, denn ich halte den Ruck nach rechts von Wähler*innen und Parteien aus der sogenannten Mitte aktuell für eine der gefährlichsten Tendenzen in der Gesellschaft.

Auf was freust du dich besonders im Rahmen deiner Tätigkeit bei den ndo?
Ich freue mich darauf, an einer gemeinsamen Vision zu arbeiten: in welchem Land wollen wir leben, wie können wir das besser gestalten. Ich finde es toll, dass so unterschiedliche Menschen, Initiativen und Organisationen bei den ndo dabei sind. Wir haben eine Schlagkraft. Das klingt zwar wie ein Klischee, aber es stimmt: Gemeinsam sind wir stark! Es dauert oft lange, gemeinsam etwas zu ändern, aber es ist möglich. Wir, die ndo, können eine Massenbewegung werden.

Wenn du auf deine jahrelange politische und journalistische Arbeit und dein Engagement zurückblickst, welche Erkenntnis kannst du unserer Community noch mitgeben?
Mensch darf sich einfach nicht beirren lassen, sich nicht entmutigen lassen. Je stärker wir werden, desto stärker wird auch der Widerstand gegen uns werden, aber das ist ein Zeichen dafür, dass es voran geht. Außerdem dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, wo unsere gemeinsamen Gegner*innen stehen. Von der gegnerischen Seite gibt es sehr viele Impulse die Gesellschaft zu spalten, das dürfen wir nicht unterschätzen. Also: Lasst euch nicht beirren! ☺

Danke!