Von Sheena Anderson, Schwarze Feministin, Klimagerechtikeitsaktivistin, Politikwissenschaftlerin
Klimagerechtigkeit ist in aller Munde – zu Recht. Menschen kämpfen dafür, sprechen darüber, oder regen sich auf. Sie wird von unterschiedlichen Menschen gefordert Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen, Politiker*innen. Doch, dem Anstreben und Wunsch nach Klimagerechtigkeit steht nicht etwa ein neutrales Vakuum als Ist-Zustand gegenüber, sondern zutiefst ungerechte Strukturen, Unterdrückung und eben Klimaungerechtigkeit. Bevor wir also Klimagerechtigkeit fordern und beim nächsten Klimastreik dafür demonstrieren, uns beim Familienessen mit konservativen Verwandten darüber streiten oder generell über das Thema aufregen, sollten wir uns verdeutlichen, was eigentlich die bereits bestehende Klimaungerechtigkeit bedeutet.
Die Klimakrise ist das Resultat von Kapitalismus, Kolonialismus, Imperialismus sowie maximaler Ausbeutung und Unterdrückung von Mensch und Natur. Dieses Zusammenspiel hat nicht nur möglich gemacht, dass wir seit Jahrhunderten annehmen, wir stünden über der Natur sowie manchen Menschen, sondern legitimiert das ungerechte und ausbeuterische Handeln in dieses Systemen als angeblich notwendig für Fortschritt, Innovation und Entwicklung. Jene Unterdrückungssysteme und ungerechten Strukturen haben auch im Hier und Jetzt weitreichende Folgen und prägen weite, wenn nicht sogar alle Teile unseres gesellschaftlichen und privaten Lebens. Daher können wir die Klimakrise auch nicht weiter aus der Vogelperspektive betrachten – wir sind nicht stille Beobachter*innen, sondern mittendrin und Teil menschengemachten Krise und vor allem der bestehenden Strukturen. Auch sie sind menschengemacht – daher können sie ebenso gut abgeschafft und transformiert werden. .
Zusätzlich sollten wir uns daher vor Augen führen – als Gesellschaften und Individuen – dass die Klimakrise nicht nur selbstverständlich menschengemacht ist (oder vielmehr ‚rich white male made‘), sondern dass ganz bestimmte Menschen disproportional von der Klimakrise und ihren Auswirkungen betroffen sind. So sind Schwarze, Indigene und Menschen of Color (BIPoC), Frauen, ältere Menschen, Kinder, behinderte Menschen, LGBTQI* Personen sowie Geringverdiener*innen und allen voran Menschen im sog. Globalen Süden nicht nur gesellschaftlicher Ausgrenzung und Unterdrückungssystemen wie Rassismus, (Cis-)Sexismus, Ableismus, Klassismus, uvm. ausgesetzt, sondern bekommen auch häufiger und heftiger die Klimakrise zu spüren. Das kommt nicht von ungefähr – die Klimakrise kann als „multiplier of inequalities“ verstanden werden; sprich, sie verschlimmert bereits bestehende Ungerechtigkeiten noch weiter und oft haben die oben genannten Menschen weniger Ressourcen und Möglichkeiten, sich an eine fortschreitende Krise wie die Klimakrise anzupassen. Auch der letzte IPCC-Bericht erkennt bspw. erstmals die zentrale Rolle von Kolonialismus für die Klimakrise an. „In dem Bericht stellte der IPCC fest, dass historische und anhaltende Formen des Kolonialismus die Anfälligkeit bestimmter Menschen und Orte für die Auswirkungen des Klimawandels direkt verschlimmert haben“ (Okunola 2023, Übersetzung von Rick Nagelschmidt).
Genau deshalb ist es so ausschlaggebend, dass die Lösungen für die Klimakrise und das Erreichen von Klimagerechtigkeit aus antirassistischen, intersektionalen, inklusiven und dekolonialen Perspektiven hervorgehen. Es ist eine komplexe Krise, die komplexe und umfassende Antworten erfordert. Denn bei Klimagerechtigkeit geht es bei weitem nicht „nur“ ums Klima. Es geht um antirassistische, feministische, ökonomische, ökologische und gesundheitliche Gerechtigkeit. Eben weil all diese Themen so eng miteinander verknüpft sind, können wir nicht ein Thema nach dem anderen behandeln und Menschen weiter vertrösten, wir müssen endlich ganzheitliche Ansätze verfolgen. Gewiss, das ist der anstrengendere, kompliziertere Weg. Aber es hat auch niemand behauptet, dass es einfach wird.
Es braucht dringend mehr Räume für Menschen, um zusammenzukommen, sich gemeinsam weiterzubilden, voneinander zu lernen und sich auszutauschen. Der diesjährige ndo-Jugendkonkgress „Ru’ya – Unsere Vision, unser Planet JETZT!“ stellte einen solchen Raum dar, einen Raum, in dem chancengerechte Teilhabe, Sichtbarkeit und Antirassismus in Bezug zu Klimaerechtigkeit thematisiert wurden. Gerade für junge Menschen ist es zentral, ihre Sorgen und Ängste, aber auch Visionen und Ideen teilen zu können – zu Klimagerechtigkeit und anderen Themen. Denn sie sind nicht nur aufgrund ihres Alters besonders von der Klimakrise betroffen, sondern befinden sich tagtäglich in festen und zutiefst ungerechten Strukturen (Schule, Universität, Ausbildung), die es ihnen nur selten erlauben, gemeinsam, kreativ und disruptiv an Lösungen für Gegenwart und Zukunft zu arbeiten.
Darüber hinaus braucht es alternative und zugängliche Formen von Aktivismus, in dem unterschiedliche Menschen sich repräsentiert und verstanden fühlen, Orte und Möglichkeiten für collective care und vor allem Finanzierung für marginalisierten Klimaaktivismus und den Schutz von frontline defenders.
Wer also all das versteht und die tief verwobenen Strukturen sieht und versteht, die zu Klimaungerechtigkeit führen, sollte es schwer haben, sich nicht für Klimagerechtigkeit einzusetzen. Denn, ganz vereinfacht gesagt, geht es bei Klimagerechtigkeit um ein gerechtes, faires, friedvolles und schönes Miteinander auf diesem Planeten – es geht um den Schutz unserer selbst, unserer Mitmenschen und der Erde. Und dazu kann wirklich jeder Mensch etwas beitragen – nicht morgen, sondern heute. Jetzt. Und idealerweise erreichen wir dadurch nicht nur einen klimagerechten Planeten, sondern auch Gesellschaften, die Zusammenleben wieder neu definieren und sich auf das Mit- statt Gegeneinander konzentriere. Und ja, auch das ist Klimagerechtigkeit.
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