Nguyen Tien Duc kam 1977 aus Vietnam in die DDR und begann dort eine Berufsausbildung. Heute ist er Mitglied des Vorstands vom Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt Lamsa
Wo warst du, als vor fast 30 Jahren die Mauer fiel?
Ich war in Magdeburg als die Mauer fiel. Ich habe schon seit 1977 in der DDR gelebt und gearbeitet. Ich habe die Bilder im Fernseher gesehen, dass die Leute über die Grenze gingen. Manche Tage habe ich mir die Frage gestellt: „Solltest du heute zur Arbeit gehen oder nicht?“ Ich bin aber immer brav zur Arbeit gegangen.
Welche Hoffnungen und Erwartungen hattest du an die Wiedervereinigung?
Ich wollte reisen. In der DDR waren die Häuser grau. Die Luft und die Flüsse waren schmutzig. Man musste vorsichtig sein, was man sagt. Ich habe westdeutsche Bürger gesehen, wenn sie in der DDR zu Besuch waren. Im Intershop oder im Restaurant müssten sie nicht warten wie wir. Mit der Wiedervereinigung hoffte ich, dass alles besser wird.
Wie war die Zeit nach der Wiedervereinigung für dich?
Nach der Wende hatte ich große Angst, am Abend irgendwohin allein zu gehen. Es gab Beschimpfungen und Gewalt gegen Ausländer. Ich selbst wurde auch angegriffen, konnte aber weg laufen. Die vietnamesischen Vertragsarbeitnehmer im Wohnheim in Olvenstedt Magdeburg wurden von den Rechtsradikalen angegriffen. Sie haben die Polizei angerufen. Die Polizei ist aber nicht gekommen.
Wie nimmst du die Debatte um die Deutsche Einheit heute wahr? Was würdest du dir für die Debatte wünschen?
Die deutsche Einheit lief friedlich. Darauf können wir alle stolz sein. Als ich in der DDR lebte, hatte ich dies nicht im Traum für möglich gehalten. Die Wiedervereinigung war für viele DDR-Bürger aber auch sehr schmerzhaft durch Massenentlassungen. Die heutige Errungenschaft ist nur mit diesem Schmerz möglich. Wir sollen diese Menschen wertschätzen.
Özcan Karadeniz, Geschäftsführung des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften – Leipzig iaf e.V
Wo waren Sie, als vor fast 30 Jahren die Mauer fiel?
Wir lebten damals in Hannover. Dass die DDR die Grenze geöffnet hat erfuhr ich abends aus der Tagesschau. Wie bei vielen anderen Familien auch war es bei uns Tradition um 20 Uhr gemeinsam die Nachrichten im Ersten zu schauen. Welche Bedeutung das Ereignis hatte begriff ich zunächst gar nicht. Erst als an den Folgetagen die Bilder von ausreisenden DDR-Bürgern nicht abrissen und überall Menschen in Freudentränen zu sehen waren wurde mir die Bedeutung und Tragweite zunehmend bewusst.
Welche Hoffnungen und Erwartungen hatten Sie an die Wiedervereinigung?
Der Mauerfall schien eine epochale Bedeutung zu haben und die Menschen wirkten irgendwie beseelt. Bei mir machte sich Hoffnung auf eine bessere Welt breit. Als deutlich wurde, dass die hohe Zahl an Übersiedlern aus der DDR nicht so leicht abreißen würde, wurden aber auch die Stimmen der Bedenkenträger lauter. Durch die besorgten Politiker und Bürger veränderte sich auch das Klima und von Hoffnung war bald nicht mehr viel zu spüren.
Wie war die Zeit nach der Wiedervereinigung für Sie?
Die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock waren für mich unbegreiflich. Neonazis belagerten Unterkünfte ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter und Menschen aus der „Mitte der Gesellschaft“ klatschten Beifall während Molotow-Cocktails geworfen wurden. Die flächendeckende rechte Gewalt und die extrem rassistischen Diskussionen waren sehr verstörend. Während der Berichterstattung über die Brandanschläge von Mölln saß meine ganze Familie vor dem Fernseher und weinte.
Wie nehmen Sie die Debatte um die Deutsche Einheit heute wahr? Was würden Sie sich für die Debatte wünschen?
Zuletzt wurden – zu Recht – ostdeutsche Stimmen lauter, die die dominierenden westdeutschen Erzählungen kritisieren und mehr Beachtung für ihre Perspektiven und Erfahrungen einfordern. Gerade an solchen Debatten wird allerdings auch deutlich wie wenig nach wie vor in allen Gesellschaftsbereichen migrantische Perspektiven mitgedacht und als relevant erachtet werden. Ich wünsche mir, dass in dieser Debatte auch die Lebensgeschichten von Migranten vorkommen. Zudem fehlt mir nach wie vor eine Aufarbeitung der rassistischen Gewalt jener Zeit, auch bzgl. Fragen nach Schuld und Verstrickung.
Mohamad Yahya, Apotheker in Zwickau.
Wo warst du, als vor fast 30 Jahren die Mauer fiel?
Mein Name ist Mohamad Yahya. Ich kam 1986 aus dem Jemen als Pharmazie-Student nach Greifswald in Mecklenburg Vorpommern. Als die Mauer fiel, saß ich mit Freunden und Leuten aus meinem damaligen Wohnheim vor dem Fernseher. Ich war mit Menschen befreundet, die sich für die Einheit eingesetzt haben und mit anderen, die dagegen waren. Wir haben kontrovers debattiert.
Welche Hoffnungen und Erwartungen hattest du an die Wiedervereinigung?
Wir waren Studenten und ich habe die Hoffnung und Erwartungen gehabt, dass Deutschland ein weltoffenes Land wird und die Menschen ihre Freiheit genießen werden.
Wie war die Zeit nach der Wiedervereinigung für dich?
Ich kam aus dem Jemen, das Land war auch geteilt, die Wiedervereinigung in Jemen war gerade passiert. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist eine großartige Sache, besonders weil sie friedlich war. Die anschließenden rassistischen Angriffe waren unverständlich für mich. Ich konnte nicht verstehen, warum Ausländer beschimpft und geschlagen werden. Im Osten waren die meisten Ausländer Studenten und einige Gastarbeiter, die für DDR gearbeitet haben. Nachdem die Skinheads uns ständig angegriffen haben, haben wir uns in Gruppen aufgeteilt und keiner ist allein auf der Straße gegangen. Die Ereignisse damals in Mecklenburg Vorpommern waren weltweit bekannt. Wir hatten wirklich Angst. Es waren schlechte Zeiten – besonders im Nordost der ehemaligen DDR.
Wie nimmst du die Debatte um die Deutsche Einheit heute wahr?
Die Zeiten haben sich total geändert und die deutsche Politik trägt die Verantwortung dafür, was heute passiert. Wir erleben zurzeit das gleiche wie damals aber auf einer anderen Art und Weise. Es muss kein Verständnis für Rassismus und Diskriminierung geben, das ist keine Meinungsfreiheit.