Im Gespräch mit…Jagar Saifo von der Initiative Kommunalwahlrecht für alle

Jagar Saifo kommt aus Syrien und gehört zur kurdischen Minderheit. Er hat in Syrien Jura studiert, bevor er vor der politischen Verfolgung und dem Krieg 2014 nach Deutschland geflohen ist. In Deutschland hat er Politik und Verwaltung an der Uni Konstanz studiert und einen Auszeichnung als hervorragender ausländischer Student erhalten. Seit 4 Jahren ist Jagar bei Amnesty International tätig und hält Vorträge zu den Themen politische Rechte von Migrant*innen und Menschenrechtverletzungen im Nahen Osten. Jagar Saifo ist Vorsitzender der Initiative „Kommunalwahlrecht für alle“, die er 2019 gegründet hat.

Wie kam es zur Gründung der Initiative “Kommunalwahlrecht für alle” ?

Wir leben in einer Demokratie und ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie ist das Wahlrecht. Allerdings bin ich so wie Millionen andere hier lebende Migrant*innen von diesem Wahlrecht ausgeschlossen. Deswegen habe ich mich politisch und durch das Grundgesetz strukturell diskriminiert gefühlt. Meine Stimme findet kein Gehör, da ich für Parteien kein potenzieller Wähler bin. Unsere Anliegen als Menschen mit Migrationshintergrund werden nicht ernst genommen, weil wir die Kandidat*innen nicht wählen oder abwählen können. Das will ich gemeinsam mit Betroffenen und Freund*innen ändern und auch Migrant*innen aus Nicht-EU-Ländern das Wahlrecht ermöglichen. EU-Migrant*innen haben nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland das Wahlrecht und wir als Nicht-EU-Migrant*innen bekommen dieses Recht gar nicht, egal seit wann wir hier in Deutschland leben. Diese Ungleichbehandlung war der Hauptgrund für die Gründung der Initiative.

Warum ist es aus deiner Sicht so wichtig, dass auch Nicht-EU-Migrant*innen das kommunale Wahlrecht erlangen?

Wir sind Teil der Gesellschaft, wir arbeiten und zahlen Steuern, studieren und haben unseren Lebensmittelpunkt in Deutschland, aber trotzdem sind wir aufgrund unserer Herkunft von den Wahlen ausgeschlossen. Integration sollte nicht nur darin bestehen, Migrant*innen dazu zu verpflichten, sich zu integrieren, sondern auch darin, ihnen die selbstverständlichen Rechte in einer Demokratie zu geben. Wie soll man sich in die Gesellschaft integrieren, wenn man sich bezüglich seiner Rechte als Bürger*innen zweiter Klasse fühlt.

Was habt Ihr bislang mit der Initiative erreicht? Und was wollt Ihr noch erreichen?

Wir haben eine Petition gestartet. Wir haben die Bundeskanzlerin auf unsere Initiative aufmerksam gemacht. Wir haben es geschafft, dieses Thema mit vielen Bundestagsabgeordneten verschiedener Parteien zu besprechen und deren Unterstützung zu gewinnen. Zudem haben wir herausgefunden, wie wichtig dieses Thema für Betroffene ist, dass sie sich diskriminiert fühlen und der Ausschluss vom Wahlrecht ihre Integration negativ beeinflusst. Denn dieser Ausschluss hat eine klare Botschaft: Ihr gehören nicht hierher, eure Stimme ist nicht wichtig. Deswegen sollen wir von diesem demokratischen Instrument ausgeschlossen werden. Wir möchten dieses Thema in die Öffentlichkeit bringen und damit klarstellen, wie wichtig es ist, Migrant*innen die politische Partizipation bzw. das Wahlrecht zu ermöglichen.

Gibt es Politiker*innen und/oder Parteien, die euer Anliegen unterstützen? 

Ja. Auf der einen Seite hat es mich sehr erstaunt, wieviele Politiker*innen von den Grünen, den Linken und der SPD dieses Thema auf Bundesebene sowie auf Landesebene unterstützen. Auf der anderen Seite hat es mich gewundert, warum trotzdem in politischen Debatten kaum über dieses Thema gesprochen wird. Ich glaube, das liegt daran, dass sie kein Druck haben, dieses Thema zu behandeln. Deswegen möchten wir diesen Druck durch unsere Initiative und unserer Petition ausüben.

Inwieweit hat die Bundestagswahl Auswirkungen auf eure Petition?

Wir sehen durch die Bundestagswahlen eine Chance, unser Ziel zu erreichen. Denn wir gehen davon aus, dass die nächste Regierungskoalition aus CDU-Grünen oder CDU-SPD besteht. Wenn wir es bis zu den Bundestagswahlen schaffen, dieses Thema in die Koalitionsagenda der Grünen oder der SPD zu bringen, werden wir sehr gute Chancen haben, auch die CDU dazu zu bringen, das Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Migrant*innen anzuerkennen. Denn wegen der CDU sind die bisherigen Versuche gescheitert.

Inwieweit ist die Mitgliedschaft im ndo-Netzwerk hilfreich für eure Initiative? 

Die Mitgliedschaft im ndo-Netzwerk hat viele Vorteile für uns. Wir haben dadurch die Chance, uns mit anderen Initiativen oder Gruppen zu vernetzen, die sich auch für ein inklusiveres Deutschland und gleichberechtigte Teilhabe einsetzen. Es ermöglicht uns den Austausch über Herausforderungen und wir können von erfahreneren Initiativen viel über interne Organisation, projektbezogenen Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit lernen. Dafür war auch die Teilnahme am vergangenen Bundeskongress hilfreich. Der wichtigste Punkt ist aber, dass wir uns durch das ndo-Netzwerk unterstützt und empowered fühlen.

Wie kann mensch euer Projekt unterstützen?

Das Ziel ist es, so viele Menschen wie möglich mit dem Thema zu erreichen. Daher hilft uns alles – von Social Media Beiträgen teilen und unsere Online-Petition unterzeichnen, über Diskussionsveranstaltungen oder Workshops zum Thema Kommunalwahlrecht zu organisieren, bis hin zu Pressegesprächen und direkte Kontakte zu Politiker*innen und Parteien.

https://kommunalwahlrecht.blogspot.com/

Danke für das Gespräch!