„Die nachhaltige Auseinandersetzung mit Kommunikation und Sprache an der Schnittstelle zur Diskriminierung erfordert die aufrichtige Bereitschaft zur machtkritischen Selbstreflexion.“ – Methu Thavarasa

Seit 6,5 Jahren arbeite ich nun schon bundesweit als freiberufliche*r Referent*in in der politischen Bildungsarbeit. Als mich die Berliner Landeszentrale für politische Bildung 2017 bat, ein Konzept für ein „Argumentationstraining gegen Parolen und Rechtspopulismus“ auszuarbeiten, konzentrierte ich mich hauptsächlich auf den situativen Aspekt von (Anti-)Diskriminierung und Rechtspopulismus in Gesprächssituationen. Dabei fokussierte ich mich vor allem auf folgende Fragen: Wie funktioniert rechte Rhetorik und was ist (Rechts-)Populismus? Wer und wo sind rechtspopulistische Akteure und rechte Aktionsräume? Welche Narrative werden durch diskriminierende Menschen reproduziert? Welche Rolle spielen dabei Diskriminierungsformen wie etwa Rassismus, Sexismus, Klassismus, Antisemitismus und Ableismus? Welche Auswirkungen haben diese Narrative wiederum auf die Teilhabe, Zugänge und Ausschlüsse marginalisierter Bevölkerungsgruppen? Welche Handlungsmöglichkeiten und Gesprächsstrategien gibt es allgemein, rassistischen Parolen im privaten, öffentlichen und beruflichen Bereich zu begegnen? Welche Strategien sind hilfreich, um im Gespräch und Kontakt mit diskriminierenden Gesprächspartner*innen zu bleiben? Ab wann sind schließlich individuelle Handlungsrahmen sowie kommunikative Ressourcen ggf. ausgeschöpft?

Zettel auf dem Steht: Words have Power

– Ein Plädoyer –

Politische Bildungsarbeit als dynamische, prozess- und bedarfsorientierte Praxis

Während Kommunikation immer noch das Herzstück meiner politischen Bildungsarbeit ausmacht, haben sich sowohl die pädagogische und methodisch-didaktische Herangehensweise als auch der inhaltlich-konzeptuelle Rahmen rund um das Thema ‚situatives Argumentieren gegen Diskriminierung‘ durch die ‚Entwicklung machtkritischer Haltungs- und Handlungsfähigkeit‘ erweitert. Die Gründe dafür sind vielfältig: zum einen befinde auch ich mich in einer dynamischen Bewegung mit persönlichen Reflexionsprozessen, die aus subjektiven und objektiven Beobachtungs- und Erfahrungswerten sowie neuem Wissen gespeist werden. Je mehr ich mich selbst – biographisch, diskursiv, wissenschaftlich, aktivistisch und literarisch – mit Rassismus, struktureller Diskriminierung, Machtkritik, Intersektionalität und Allyship auseinander setzte, desto klarer wurde mir, dass diese Ansätze auch Raum in meinen Konzepten finden würden. Dazu gehörte und spielte die Reflexion meiner eigenen Positionierung in der Gesellschaft, und damit verbunden ein tiefer gehendes Verständnis meiner Privilegien und Marginalisierungserfahrungen, eine große Rolle.

Zum anderen begegnete ich in meiner Arbeit regelmäßig (insbesondere weiß positionierten) Menschen, die zwar ein aufrichtiges Interesse an dem Thema und die Überzeugung solidarischen Handelns mitbrachten, sich aber (noch) nicht dezidiert der bewussten Reflexion und Entwicklung einer Haltung mit Blick auf gesellschaftliche Machtverhältnisse und ihrer eigenen Verstrickungen darin bis dahin zugewandt haben. Das äußerte sich exemplarisch durch:

  • die Erwartungshaltung, dass ein rein situatives, argumentatives und rationales Vorgehen gegen diskriminierende Parolen alleine insgesamt zu weniger Reproduktion von Diskriminierung im (erweiterten) Umfeld und somit automatisch zu mehr sozialer Gerechtigkeit für BIPoCs führen würde.
  • ein fehlendes Verständnis von strukturellem Rassismus und ihrer intersektionalen Wirkungsweisen auf marginalisierte Lebensrealitäten
  • den starken Fokus auf den Wunsch, die eigene sprachliche Ohnmacht zu überwinden, während die Reflexion der eigenen Ohnmacht entlang der eigenen Positionierung und Privilegien, der daraus entstehenden Verantwortung, Handlungsmöglichkeiten und Konsequenzen, die ggf. gezogen werden müssten, konsequent ausblieben.
  • ein ausbleibendes Bewusstsein für die eigene rassistische/diskriminierende Sozialisation und die daraus resultierende fehlende Sensibilisierung für diskriminierende Situationen allgemein bei gleichsamer unbewusster Reproduktion problematischer sprachlicher Lese- und Sehgewohnheiten von z.B. nicht-weißen, queeren oder von Ableismus betroffenen Menschen.
  • damit einhergehend die Externalisierung von diskriminierenden Mustern (ob verbal oder handelnd) auf rechte Akteure und Aktionsräume
  • die ausbleibende Verantwortungsübernahme bei Konfrontation mit Reproduktion diskriminierender Dynamiken, nicht selten mit direkter Überleitung zu klassischen Formen weißer Fragilität (z.b. Irritation, Schock, Abwehr, Angriff, Wut, Trauer, Schuld, Scham etc.).
  • die Vermeidung klarer Kommunikation und scharfer Benennung von diskriminierender, gewaltvoller Sprache und Äußerungen gegenüber diskriminierenden Personen zugunsten von Harmoniebedürftigkeit und Konfliktvermeidung.

Politische Bildung als machtkritische Praxis – was meine ich damit und warum ist sie notwendig?

Diskriminierung findet nicht im luftleeren Raum oder auf neutralem Boden statt. Die tiefgreifende Erkenntnis, in einer rassistischen, kapitalistischen, patriarchalen, weiß dominierten Hegemonialgesellschaft zu leben, die den Nationalsozialismus und bis heute anhaltende (Neo-)Kolonialismen nicht konsequent aufgearbeitet hat und somit Machthierarchien zulasten marginalisierter Bevölkerungsgruppen weiterhin reproduziert, hat bittere Konsequenzen für Menschen, die nicht der Norm entsprechen (der Norm entsprechen weiße, cis, hetero, männliche und able-bodied Menschen). Systemisch sind wir alle – ob wir wollen oder nicht – aktiver Teil einer Struktur, die Menschen unterschiedlich wertet und mit unterschiedlichen Privilegien ausstattet und dafür andere gewaltvoll ausschließt. Mir ist ein sehr bewusster Umgang mit dem Wissen, dass Diskriminierung als Konsequenz strukturell sowohl fest in uns selbst eingeschrieben als auch in allen Bereichen unseres Lebens verankert ist, genauso wichtig wie die Erkenntnis, dass Menschen von Diskriminierung profitieren insofern sie selbst nicht von dieser betroffen sind. Ich bin der Überzeugung, dass es einen aktiven Umgang mit der eigenen sozialgesellschaftlichen Positionierung braucht, um antirassistisch zu handeln. Um strukturelle Diskriminierung zu verstehen braucht es daher ein fundiertes Verständnis davon, wie Diskriminierung genau funktioniert und wie sie auf individueller, normativ-gesellschaftlicher, institutioneller, rechtlicher und historischer Ebene qua Sozialisation im Denken aller Menschen verwoben ist. Die Notwendigkeit, sich selbst in den Machtverhältnissen und Verflechtungen zu verorten, um der eigenen Rolle in der Aufrechterhaltung von gewaltvollen Machtverhältnissen und damit Verantwortung zur Widerständigkeit auf die Spur zu kommen, macht eine machtkritische Haltung und Handlungsfähigkeit zusätzlich aus. Antidiskriminierendes Handeln und Allyship sind damit Praxen, die stets den Blick nach innen erfordern. Denn Sozialisation prägt unseren Blick auf unsere Mitmenschen und spielt eine entscheidende Rolle in unserer Fähigkeit, Diskriminierung überhaupt erst einmal als solche zu erkennen, begründet zu benennen und sprachlich sichtbar zu kommunizieren ohne deren Existenz zu relativieren oder ihre Tragweite für betroffene Menschen herunterzuspielen. Erst wenn ein strukturelles Problem als solches benannt wird, wird Ungerechtigkeit sichtbar, wird eine klare Haltung gefordert. Und erst an dieser Stelle kann sich ein Raum überhaupt öffnen, den man gemeinsam begehen kann, um kollektiv einander zuzuhören und gemeinsam strukturelle Lösungen zu überlegen, um Ausschlüssen und dem Wiederholen von Machtverhältnissen entschieden und positioniert entgegenzuwirken.

Inhaltliche Bausteine meiner politischen Bildungspraxis

In meiner politischen Bildungsarbeit setze ich den machtkritischen Rahmen, indem ich direkt am Anfang sichtbar mache, dass meine Perspektive auf das Thema von meiner Positionierung, meinen persönlichen Erfahrungswerten und Wissensprozessen geprägt ist. Meine Art den Raum zu halten und meine inhaltliche Schwerpunktsetzung sind davon stark beeinflusst. Im Laufe der Zusammenarbeit treffen in individuellen und interaktiven, dynamischen Reflexionsphasen und Übungen achtsam und bewusst verschiedenste Blickwinkel und Perspektiven aufeinander, die unterschiedliche Machtstrukturen spiegeln, die im Raum vorhanden sind. Dabei füttere ich den Prozess mit verschiedenen Inputs über die Definition und verschiedenen Dimensionen von Diskriminierung selbst, verschiedener Formen und deren Zusammenwirken, Intersektionalität, kritischem Weiß-Sein, Privilegien und Allyship. Das prozessorientierte Arbeiten ermöglicht es, im Raum selbst auftauchende Machtverhältnisse, Irritationen, Fragen und Reproduktionen von Diskriminierung direkt aufzugreifen, zuzuordnen und zu benennen. Damit bieten der Austausch und der erfahrbare Rahmen direkt die Möglichkeit, anhand des Selbst und der Gruppendynamik, eine eigene Vorstellung davon zu entwickeln was mit struktureller Diskriminierung und Deutungshoheit überhaupt gemeint sein könnte und wie sich das in dem Moment auf das Selbst und die Gruppendynamik auswirkt. Die kritische Reflexion der eigenen Werte und Ziele wird durch Übungen weiter manifestiert, indem über das rein Argumentative hinaus Szenarien besprochen und durchgespielt werden, in denen Anwesende ihre Privilegien in Ressourcen und Verantwortung, und damit Handlung und Haltung, übersetzen lernen.

Politische Bildung als transformative Praxis der befreiten Gesellschaft

Ich wünsche mir sehr, dass es mehr und mehr öffentliche Widerrede und eine klare Positionierung gegen gewaltvolle Sprachlogiken und diskriminierende Narrative gibt, die von Diskriminierung betroffene Menschen weiterhin konsequent an den Rand der Gesellschaft drängen. Da Sprache und Kommunikation Wahrnehmung und Realitäten schaffen, sind sie die für mich wirkungsvollsten Werkzeuge um in Kontakt miteinander zu treten und Populismen, verinnerlichte Vorurteile, diskriminierende Seh- und Lesegewohnheiten, Manipulationen von rechts und Hetze gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen sichtbar zu machen, diese als klar gewaltvoll zu markieren und alternative strukturelle Vorstellungen von demokratischer Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit für alle laut hörbar und sichtbar in die Mitte unserer Gesellschaft zu tragen und dort wirkungsvoll in Form von kompromisslos demokratischer Haltung zu platzieren. Um strukturellen Rassismus abzubauen reichen das bloße Lernen von Argumenten und ein rein situatives kommunikatives Handeln aber alleine bei Weitem nicht aus. Es braucht das bewusste schonungslose Auseinandersetzen mit sich selbst und die klare Einsicht Teil der gewaltvollen Strukturen zu sein.

Mir ist es schließlich noch wichtig zu betonen und anzuerkennen (an dieser Stelle leider nur in Kürze), dass diese Prozesse auch für nicht-betroffene Personen sehr schmerzvoll sein und zu tiefen Konflikten, Enttäuschungen und Disharmonie führen können, da die Auseinandersetzung mit Kommunikation an der Schnittstelle zu Diskriminierung eben auch Fragen nach der eigenen Rolle in der Aufrechterhaltung und Verflechtungen von und mit gewaltvollen Strukturen, dem vermeintlichen Verlust von Macht und Zugängen, zwischenmenschliche Disharmonien im Umfeld, Frust und Gefühlen von Schuld, Trauer und Scham unweigerlich aufkommen lassen, die mit bearbeitet werden möchten. Die transformative Kraft eines solchen Prozesses kann meines Erachtens nur ihr volles Potenzial entfalten, wenn diesen Gefühlen und Gedanken in einem sicheren Rahmen der eigenen Vulnerabilität Raum gegeben werden kann und sich alle in Begleitung auf diese Prozesse einlassen können, denn „progressive Bildung, Bildung als Praxis der Freiheit, ermöglicht es uns, uns mit Gefühlen des Verlustes auseinanderzusetzen und unser Gefühl der Verbundenheit wiederherzustellen. Sie lehrt uns, wie wir Gemeinschaft schaffen können.” (aus bell hooks, Teaching community: a pedagogy of hope). Und nur gemeinschaftlich lassen sich rigide, festgefahrene, internalisierte Strukturen abbauen und gewaltvolle Machtverhältnisse auflösen, die ein Miteinander schaffen, indem Vielfalt geschätzt wird und es allen Menschen schließlich gleichwertig möglich ist an der Gesellschaft teilzuhaben.

Methu Thavarasa (kein Pronomen) ist deutsch sozialisierte*r Eelam Tamil*in. Seit 2017 widmet sich Methu politischer Bildungsarbeit für Erwachsene und an Schulen. Im Rahmen von Trainings, Fortbildungen, Vorträgen und prozessbegleitenden Beratungen arbeitet Methu intersektional und machtkritisch zu den Themen Kommunikation gegen Rechtspopulismus, Antirassismus, kritisches Weiß-Sein, Allyship und Diversität. Methu gibt Empowermenttrainings für rassismuserfahrene Menschen und ist Moderator*in mit explizitem Fokus auf angewandte Intersektionalität und struktureller Diskriminierung.

Weiterefürhrende Literatur zum Thema findet ihr hier.
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