Zum 20 jährigen Attac-Jubiläum hat Ferda Ataman in der Frankfurter Paulskirche eine Rede gehalten und erklärt, warum Antifaschismus ein bürgerlicher Konsens unter allen Demokrat*innen sein muss. Die universelle Parole, die aus Verantwortung der deutschen Geschichte hervorgeht, laute: “Keine Zusammenarbeit mit Nazis. Ganz einfach.”
Mehr Antifaschismus wagen!
Sehr geehrte Gäste,
liebe Mitstreitende,
vielen Dank für die Einladung!! Es ist mir eine Ehre, heute mit Ihnen und euch 20 Jahre Attac zu feiern und nach vorne zu blicken. Wäre ich ich heute nicht in Frankfurt, wäre ich in Erfurt bei der Unteilbar-Demonstration. Wie wunderbar, dass wir heute bundesweit an verschiedenen Orten demokratische Akzente setzen.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister (Peter Feldmann),
herzlichen Dank, dass Sie diese Veranstaltung in der Paulskirche mittragen. Als Bürgerin weiß ich diesen historischen Ort für genau diese Veranstaltung sehr zu schätzen. Hier hat sich das erste deutsche Parlament zusammengetan und die erste deutsche Verfassung erarbeitet. Die Paulskirche ist der perfekte Ort, um darüber zu reden, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen.
Ich engagiere mich seit Jahren in zwei Vereinen. Einer davon heißt „Neue deutsche Medienmacher“, eine Initiative von Journalist*innen, die von der Statistik überwiegend mit einem „Migrationshintergrund“ gesegnet wurden und sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen. Vor fünf Jahren haben einige Schwarze Menschen und People of Color außerdem ein “postmigrantisches” Netzwerk gegründet, das „neue deutsche organisationen“ heißt. Hier kommen Initiativen von Bindestrich-Deutschen aus ganz Deutschland zusammen und engagieren sich gegen Rassismus und für eine inklusive Gesellschaft.
1. Was ist aus unserer Sicht das Problem?
Wir leben in einer Zeit, in der eine bisweilen faschistische, stramm nationalistische Partei erschreckend viele Wähler*innenstimmen bekommt und in allen Parlamenten sitzt.
Wir leben in einer Zeit, in der der Chef des Bundesverbands der Feuerwehr sich gegen die AfD positioniert – und am Ende gehen muss.
Etwa zur gleichen Zeit bekommt die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ die Mitteilung, dass ihnen die Gemeinnützigkeit aberkannt wird.
Anfang letzten Jahres, das wissen Sie, entschied der Bundesfinanzhof über die Gemeinnützigkeit von Attac und erklärte, dass die „Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung […] keinen gemeinnützigen Zweck erfüllt.“ So allgemein formuliert ist diese Aussage fatal und demokratieschädigend.
Auch Vereine von Schwarzen Menschen und People of Color bekommen inzwischen Briefe vom Finanzamt, weil die Frage nicht geklärt ist, ob Engagement gegen Rassismus und Empowerment für Minderheiten gemeinnützig ist.
Wir arbeiten in Berlin mit daran, dass diese enorm wichtige Frage geklärt wird und die Abgabenordnung an die Bedürfnisse in einer modernen Demokratie angepasst wird.
Und dann gibt es noch die akute, flächendeckende Bedrohungslage: Wer sich öffentlich gegen die AfD positioniert oder einfach nur gegen Antisemitismus, Antiziganismus, anti-schwarzen oder antimuslimischen Rassismus kämpft, ist potenziell gefährdet.
Und während all dem lassen unsere Politiker*innen es wissentlich zu, dass Menschen ertrinken oder gefoltert werden, damit es andere abschreckt, sich auf die Flucht nach Europa zu begeben. Das ist ein Skandal, um den viele von uns sich viel zu wenig kümmern, weil wir mit anderen Themen beschäftigt sind. Es ist beschämend und einer Zivilisation nicht würdig.
(Die Themen Umweltschutz, Klima, Kapitalismus werden heute Nachmittag ja von Luisa Neubauer und anderen angesprochen.)
2. Warum Antifaschismus ein zentraler bürgerlicher Konsens sein muss
Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages dafür kämpfen würde, den „Antifaschismus“ wieder salonfähig zu machen. Für mich klang das Wort auch lange sehr krass. Aber meine kluge Freundin und Kollegin Sheila Mysorekar stellte neulich fest: „Wir Schwarzen Menschen und People of Color sind gerade so etwas wie die Kanarienvögel der Gesellschaft. Kanarienvögel wurden früher beim Bergbau mit in den Schacht genommen und funktionierten als Warnsignal. Wenn sie verstummten oder umkippten, wussten die Arbeiter: jetzt nichts wie raus hier, zu viele giftige Gase. Kanarienvögel reagieren empfindlicher auf Sauerstoffmangel als Menschen.
Auch viele BPoC reagieren gerade empfindlicher auf die Gefährdung der Demokratie, als die meisten weißen Menschen – so mein Eindruck. Anders als die Kanarienvögel verstummen wir aber nicht. Im Gegenteil: Migrant*innen und Deutsche of Color werden immer lauter. Sie warnen klar deutlich, dass die Luft immer dünner wird.
Wissenschaftlich ist nachgewiesen, dass es keinen Rechtsruck in den Einstellungen der Bevölkerung gibt. Aber die Kanarienvögel unter uns können bezeugen: Deutschland hat sich verändert. Die menschenfeindliche Stimmung ist toxischer geworden. Rechte und Rechtsextreme sind mutiger und übergriffiger. Die Bedrohung ist gestiegen. Menschen of Color leben gefährlicher als früher in diesem Land.
Auch unzählige Aktivist*innen, Journalist*innen, Politiker*innen und überhaupt alle, die sich öffentlich gegen chauvinistischen Nationalismus stellen oder für Linke gehalten werden, werden bedroht. Wir kennen das Ausmaß dieses Problems noch gar nicht, weil Studien und Statistiken fehlen.
Umso wichtiger ist es, dass wir den Begriff „Antifaschismus“ wieder bürgerlich machen. Er macht die Dimension deutlich, um die es geht: nämlich nicht um ein paar Neonazis am äußersten rechten Rand, sondern um unsere Demokratie.
Eines unserer Probleme ist, dass viele glauben, der Faschismus sei heute keine reelle Gefahr mehr. Wir hatten in den letzten Wochen den Holocaust-Gedenktag und eine Feierstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag. Doch eine zentrale Lektion, die meines Erachtens bei der Erinnerung untergeht, ist die, wie leicht der Faschismus an die Macht kommen kann:
Die NSDAP und Adolf Hitler kamen NICHT durch eine “Machtergreifung” oder einen gewaltsamen Putsch an die Macht. Ihr Aufstieg war ebenfalls “demokratisch legitimiert”, durch Wahlen und Bündnisse mit etablierten Politiker*innen. 1932 wurde die NSDAP mit 33 Prozent der Stimmen gewählt, woraufhin Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler ein paar Monate später zum Reichskanzler ernannt hat. Was 1933 fehlte, war ein antifaschistischer Minimalkonsens. Wie das Experiment „Paktieren mit Nazis“ ausging, wissen wir. Abermillionen von Menschen sind gestorben. Einige sind bis heute traumatisiert.
Sollte sich ein CDU-Landesverband mit der AfD zusammentun, werden sie uns aber bestimmt erklären, dass das der Demokratie guttue. Sie werden behaupten, dass sich die Positionen der antidemokratischen Partei in der Regierungsverantwortung schon zurechtschleife. Was man halt so sagt, wenn man mit Faschisten paktiert, um die eigene Macht zu halten.
Dabei müssten alle aus unserer Geschichte gelernt haben, dass der Faschismus sein wahres Gesicht nie von Anfang an zeigt. Alle Führer gaben sich erst mal volksnah, bürgerlich und versprachen nur, die Ordnung wiederherzustellen. Ethnische und politische Säuberungen kommen erst später.
Wer es bislang nicht geglaubt hat, weiß spätestens seit der gescheiterten Regierungsbildung in Thüringen letzte Woche: es ist eine reelle Gefahr, dass auch bei uns wieder Faschisten mitregieren. Und ich möchte mir nicht ausmalen, was auf unseren Straßen passiert, wenn die rassistischen, antisemitischen, sexistischen, homosexuellen- und transfeindlichen Hetzer aus dem Internet sich endgültig politisch legitimiert fühlen.
A propos, das hört man in letzter Zeit ja oft: Nicht nur AfD-Wähler*innen denken offenbar, dass eine Partei demokratisch legitimiert ist, wenn ihre Vertreter*innen gewählt werden. Das ist Quatsch. Hier wird der Demokratiebegriff verbogen und auf fatale Weise verkürzt. Gerade Medienschaffende und Politiker*innen sollten das wissen:
Demokratisch heißt keineswegs nur „vom Volk gewählt“. Laut Grundgesetz gehört zu unserer Demokratie auch,
• dass Gewaltherrschaft und Willkürherrschaft verboten sind,
• dass Minderheiten- und Menschenrechte geschützt werden,
• und die Presse- und Meinungsfreiheit gewahrt wird.
Wer das ablehnt, ist undemokratisch.
Unsere Verfassungsväter und -mütter waren kluge Leute und – damals selbstverständlich – Antifaschist*innen. Sie wussten, dass antidemokratische Gewaltherrschaften nicht für immer aus der Welt sind. Deswegen haben sie das Grundgesetz dagegen gerüstet. Was wir brauchen, damit die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie funktioniert, sind standhafte, verlässliche Politiker*innen, die den Antifaschismus als kleinsten gemeinsamen Nenner aller demokratischen Parteien betrachten.
Die universelle Parole, die aus Verantwortung der deutschen Geschichte hervorgeht, muss lauten: Keine Zusammenarbeit mit Nazis. Ganz einfach.
Wer heute die AfD und die Linkspartei in einem Atemzug nennt, hat also nicht verstanden, worum es geht.
Wir brauchen außerdem Medien, die das Grundgesetz und Menschenrechte als diskursiven Minimalkonsens sehen. Wer dagegen argumentiert, ist nicht salonfähig und sollte nicht ohne kritische Einordnung Rederecht bekommen. Man lädt Faschist*innen und Rassist*innen nicht in Talkshows ein und lässt sie einfach mitdiskutieren, wie alle anderen auch. Das untergräbt die Prinzipien und Werte, auf die wir uns als Norm geeinigt hatten. Auch das ist eigentlich ganz einfach: Keine Interviews mit Nazis. Die pauschale Forderung „Mit Rechten reden“ und die Haltung vieler Journalisten, „wir bilden nur ab, was ist“ ist ein Kernproblem der Debatte.
Die Lösung für unsere aktuelle politische Lage liegt auf der Hand: Der Antifaschismus muss wieder bürgerlich werden. Er gehört nicht in die linke Ecke. Er muss in Politik und Medien, in Verwaltung und Kulturbetrieben und allen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens zum Minimalkonsens erklärt werden.
3. Schaffen wir neue Bilder und Utopien!
Allerdings reicht „Antifaschismus“ und Dagegensein auf Dauer nicht. Wer ausschließlich mit Dystopien arbeitet, wer nur antifaschistisch, antikapitalistisch, antiirgendwas argumentiert, bleibt in der negativen Erzählung. Seit Jahren lassen wir uns von Rechtsextremisten die Agenda diktieren, statt eigene Ideen auf den Tisch zu werfen.
Wir dürfen – gerade jetzt – nicht vergessen, auch eigene, menschen- und umweltfreundliche Leitbilder für die Zukunft anzubieten. Wir brauchen neue Sprachbilder und positiv formulierte Ziele, die eine andere Erzählung möglich machen.
Und wir brauchen mehr mutige Utopien für die Zukunft. Konzepte, die weiterreichen als „weniger Emissionen“ oder #noafd.
Nehmen wir die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen. In Artikel eins heißt es da:
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Warum nur bei der Geburt? Ich finde, das muss auch weiteren Leben so bleiben. Statt also „weniger Abschiebungen“ zu fordern, könnten wir gleich „globale Bewegungsfreiheit“ vorschlagen. Sollte jemand einwerfen, dass das unseren Wohlstand bedroht, kann man auf den Rest von Artikel eins verweisen, wo steht, dass alle Menschen sich „im Geist der Solidarität begegnen“ sollen.
Oder wie wäre es mit einem weltweit flexiblen, offenen Staatsangehörigkeitsrecht? Statt der völlig willkürlichen Passlotterie nach Abstammung und Geburtsort wäre es doch nur konsequent, dass jede:r selbst entscheidet, wo und mit welcher Nationalität jede Person leben will. Und wenn wir schon beim utopischen „think big“ sind: warum nicht Nationalitäten ganz abschaffen und eine Weltrepublik mit regionalen Verwaltungsgebieten anstreben? Attac hat mit ihrer Kapitalismuskritik bestimmt auch noch einige Ideen anzubieten.
Neue Leitbilder zu etablieren ist keine leichte Aufgabe und es wird uns, der Zivilgesellschaft, zurzeit wirklich unnötig schwer gemacht. Umso mehr müssen wir zusammenhalten, solidarisch miteinander sein und dabei Spaß haben. In diesem Sinne geht mein großer Dank an die Organisator*innen von #unteilbar, We’ll come united, NSU-Tribunal, Attac, Fridays for Future und all die vielen, die die Fahnen hochhalten! Lasst uns, bei all den Kämpfen, die wir führen, unsere Ziele nicht aus den Augen verlieren. Lasst uns schöne, provokante Vorschläge für eine bessere Zukunft machen.
Sollen sich doch die Anderen ans uns abarbeiten.