Rede von ndo-Sprecherin Ferda Ataman beim Bundeskongress der neuen deutschen organisationen im März 2015.
2015 treffen sich zum ersten Mal engagierte Leute aus ganz Deutschland, die sich angesprochen fühlen, wenn über die Einwanderungsgesellschaft Deutschland gesprochen wird. Beim ersten ndo-Bundeskongress erklärt Initiatorin Ferda Ataman: “Die Konferenz ist das Ergebnis der These: Dass es immer mehr Initiativen gibt, die klar stellen wollen, dass zum Dazugehören mehr gehört, als deutsche Vorfahren zu haben.”
Bundeskongress der Neuen deutschen Organisationen am 9.März 2018
„Auch wir sind das Volk“
Rede von Ferda Ataman – 6. Februar 2015
Sehr geehrte Frau Staatsministerin,
Sehr geehrter Herr Krüger,
Sehr geehrte Frau Dr. Farwick,
liebe Mitaktive, Angereiste und Neue Deutsche,
herzlich willkommen!!!
Oder um es mit den Worten unseres Bundespräsidenten zu sagen: Was für ein schöner Freitag! Zum aller-ersten Mal treffen sich heute engagierte Leute aus ganz Deutschland, die sich angesprochen fühlen, wenn über das „Einwanderungsland Deutschland“ gesprochen wird oder über die Zugehörigkeit des Islam oder über den Platz von Minderheiten in unserer Gesellschaft. Nicht wenige fühlen sich in solchen Debatten angesprochen, ohne selbst gläubig oder eingewandert zu sein oder einer Minderheit anzugehören.
Diese Konferenz ist das Ergebnis einer These. Sie lautet: Es gibt immer mehr Initiativen, die in diesen Debatten mitmischen wollen und klar stellen, dass Deutschsein inzwischen mehr ist, als deutsche Vorfahren zu haben.
Was diese neuen Initiativen ausmacht: Sie setzen sich für Chancengleichheit und gegen Ausgrenzung ein, für Anerkennung und gegen Rassismus. Damit knüpfen sie zwar an die jahrzehntelange Arbeit von Migrantenselbstorganisationen oder Ausländer- und Integrationsbeiräten an.
Doch sie unterscheiden sich zwei Punkten:
1. Sie geben sich ihren Namen selbst und machen schon darin ihren Anspruch auf Mitsprache deutlich. Sie nennen sich „Buntesrepublik“, „Zahnräder“, „Kein Abseits“, Schülerpaten, „Jung, muslimisch Aktiv“ oder „Renk“, das türkische Wort für Farbe. Der Name ist Programm und zeigt das Selbstbewusstsein als Mitglied der Gesellschaft.
2. Die Neuen Deutschen Organisationen definieren sich nicht mehr ethnisch: wer die Anliegen teilt, ist herzlich willkommen und man engagiert sich zusammen, ganz egal, wie lange oder kurz die Vorfahren auf dem Gebiet der Bundesrepublik leben.
Viele dieser Organisationen sind entstanden nach dem Sarrazin-Schock, der antimuslimische, antitürkische, antiarabische und antipluralistische Ressentiments erst so richtig salonfähig gemacht hat.
Den Schock löste bei den meisten wohl gemerkt nicht das Buch selbst aus, sondern die Tatsache, dass die kruden Thesen monatelang TOP-THEMA waren und es sich insgesamt 1,5 Millionen verkaufte. Ein rassistischer Bestseller in Deutschland – das hatten wir zuletzt in einer anderen, sehr dunklen Epoche dieses Landes. Es ist also höchste Zeit, dass wir uns alle treffen.
In den kommenden zwei Tagen wollen wir uns kennenlernen, vernetzen und mit den erfahreneren Selbstorganisationen austauschen. Wir planen diese Veranstaltung schon seit über einem Jahr. Dass der Zeitpunkt nun so ins Schwarze trifft, hätten wir nicht gedacht.
Ich persönlich habe die düsteren Bilder aus Dresden immer noch nicht ganz verarbeitet: Eine Horde von Männern, die Deutschlandfahnen schwenken und im Chor „Wir sind das Volk“ brüllen. Die Betonung auf WIR macht den zweiten Teil des Satzes überflüssig, nämlich: Wir sind das Volk, IHR nicht.
Es gibt viele Gründe, sich daran zu stören. Die DDR-Oppositionellen bei den Montagsdemonstrationen von 1989 erleben gerade, wie ein zentrales Element der deutschen Einheitsgeschichte missbraucht wird.
Und für Menschen wie mich ist der Satz ein Schlag ins Gesicht, besonders dann, wenn Journalisten nach den Dresdener Demonstrationen Politiker fragen, ob sie nicht auf die „Ängste“ und Sorgen der Bürger eingehen müssen.
Ein Dialog mit wütenden Bürgern ist bestimmt in vielen Situationen sinnvoll. Zum Beispiel, wenn sie die Europäische Union ablehnen oder deutsche Finanzpolitik. Aber eine Dialogbereitschaft zu signalisieren, wenn ganze Bevölkerungsgruppen abgelehnt werden, ist mehr als problematisch.
Was wir brauchen, sind klare Ansagen, wie Sie von einigen Politikern ja auch kommen. Zum Beispiel auf die Gretchen-Frage: Gehört der Islam zu Deutschland? Hier steht es jedem frei, ungeachtet der Realität im Einwanderungsland, seine Meinung kund zu tun. Doch fest steht: Die Religionsfreiheit gehört zu Deutschland. Und damit das Recht der Muslime, ihren Glauben auszuleben. Es ist fest verankert im Grundgesetz und nicht verhandelbar. Das sollte kommuniziert werden.
Und noch ein Wort zu den „Ängsten“ in der Bevölkerung, die ernst genommen werden sollen. Der Konfliktforscher und Sozialpsychologe Andreas Zick von der Universität Bielefeld wird nicht müde zu betonen, dass es sich bei den Äußerungen von Pegida, Legida, Mügida, Kögida und dem rechtspopulistischen Flügeln er AFD nicht um Ängste handelt, sondern um Ressentiments. Deshalb sollte man sie also tatsächlich dringend ernst nehmen. Aber nicht, in dem man die Standpunkte diskutiert, sondern in dem man politische Bildung vorantreibt, aufklärt und Menschen stärkt, die dies tun.
Und es gibt viel zu tun: Einerseits befürwortet rund die Hälfte der Bevölkerung eine pluralistische und multiethnische Gesellschaft, 36 Prozent fordern sogar eine stärkere Willkommenskultur in Deutschland. Andererseits sind jedoch knapp 40 Prozent der Bevölkerung unentschieden oder stimmen zu, dass die Bundesrepublik “durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet” sei.
Wir wollen nun heute und morgen die gemeinsame Zeit nutzen, um den Blick nach vorne zu richten. „Deutschland neu denken“ – so heißt diese Veranstaltung, und das bitte ich euch und Sie zu tun. Wo gibt es Handlungsbedarf? Wie sieht dieser aus? Was erwarten wir von der Politik?
Und wie können wir deutlich machen: „Auch wir sind das Volk.“ Und auch wir haben „Ängste“, zum Beispiel vor einer weiteren Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die Deutschland neu denken wollen und diejenigen, die mit der Veränderung nicht klar kommen.
Mit dieser Veranstaltung wollen wir nicht nur Deutschland neu denken, sondern auch neu zeigen: Wir wollen die neuen deutschen Initiativen sichtbar machen und der Gesellschaft als Ansprechpartner vorstellen. Deswegen soll es im Anschluss eine Handreichung geben, in der alle, die wir finden konnten oder die uns gefunden haben, kurz vorgestellt werden.
Wir sind euch sehr dankbar, wenn ihr uns dabei unterstützt. Jetzt bleibt mir noch verschiedenen Menschen zu danken: Als ich Thomas Krüger vor einem Jahr von der Idee erzählt habe, war er sofort dabei! Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle an die Bundeszentrale für politische Bildung, die diese Veranstaltung durch ihre finanzielle Unterstützung möglich gemacht hat.
Das gleiche gilt für die Stiftung Mercator, die uns ebenfalls dabei unterstützt – und das sogar, obwohl der Bundeskongress nicht originär zu ihren Förderschwerpunkten passt, die primär auf Bildung liegen. Aber die Mitarbeiterinnen waren so überzeugtvon der Idee, dass sie das gern mittragen wollten. Herzlichen Dank. Und wir danken Aydan Özoguz ganz herzlich, die wir für eine Rede anfragen wollten und die so Feuer und Flamme von der Idee war, dass Sie uns ebenfalls ihre Unterstützung zugesagt hat.
Nur dadurch war es uns möglich, ehrenamtliche Initiativen aus ganz Deutschland ausfindig zu machen und nach Berlin einzuladen. Diese aufwendige Arbeit und die großartige Organisation der gesamten Tagung haben wir vor allem zwei Personen zu verdanken: Der Projektleiterin Breschkai Ferhad, die aus einer reinen Idee einen einmaligen Kongress hat werden lassen.
Und die wunderbare Sarah Rosenthal, die Breschkai Ferhad und die Neuen deutschen Medienmacher bei der Organisation tatkräftig unterstützt hat. Ein besonderer Dank geht auch an Konstantina Vassiliou-Enz, die Geschäftsführerin der Neuen deutschen Medienmacher. Ohne sie läuft gar nichts.
Sie hat dafür gesorgt, dass wir inzwischen nicht mehr nur eine Initiative von Willigen sind, sondern ein ordentlicher neuer deutscher Verein, der etwas tut, wie zum Beispiel Nachwuchs fördern oder die Expertendatenbank „Vielfaltfinder“ ausbauen.
Mein letzter Dank geht an Sie und euch! Vielen Dank, dass ihr gekommen seid. Die Nachfrage nach dem 1. Bundeskongress der Neuen deutschen Organisationen war überwältigend, viel größer, als wir erwartet hätten. Es haben sich über 80 Initiativen aus der ganzen Republik angemeldet. Es ist also nicht übertrieben wenn ich sage, „auch wir sind das Volk“.
Ich wünsche viel Spaß beim Kennenlernen und übergebe das Wort an Aydan – vielen Dank, dass du gekommen bist!