“Die goldene Zeit des weißen Mannes ist vorbei” – Interview mit der ehem. ndo-Vorstandsvorsitzenden Ferda Ataman

Wir sagen Hade, Ciao, Danke und Good Bye! Unsere bisherige Vorstandsvorsitzende und always Lieblings-Journalistin Ferda Ataman tritt aus dem ndo-Vorstand zurück und wir verabschieden uns mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Und mit einem tollen Interview. Ferda verrät uns nicht nur, dass sie nachts von „Unmute You“ träumt und welche Themen sie 2021 vor allem beschäftigen, sondern auch mehr über – ja uns natürlich. Denn sie war von Anfang an dabei.

Was ist dein Lieblingstier?
Elefant

Dein Corona-Evergreen (was wurde während Corona zum Dauerbrenner)?
Der Satz „du musst dich unmuten, bevor du sprichst“. Ich träume davon.

Ein Fun Fact über dich?
Ich liebe Sauerkraut. Wenn ich ein Startup machen würde, dann würde ich Sauerkraut in fancy Gläsern verkaufen.

Du hast den Grundstein für die Gründung der ndo (mit)gelegt. Warum war es wichtig, die ndo ins Leben zu rufen? 
2010, nach unzähligen Das-wird-man-wohl-noch-sagen-dürfen-Debatten haben sich überall im Land neue Initiativen von BIPoCs gegründet (neue deutsche organisationen = ndo), die gegen Rassismus aktiv wurden. Wir wollten sie zusammenbringen und kennenlernen und haben den ersten ndo-Kongress organisiert. Von den Neuen deutschen Medienmacher*innen wusste ich, wie wichtig es ist, sich zusammenzuschließen und solidarisch für eine Sache einzusetzen.

Was dachtet ihr damals, wo die Reise hingeht, und wo stehen wir jetzt?
Wir hatten anfangs keinen konkreten Plan, außer Vernetzung bei einem Bundeskongress. Aber fast alle wollten mehr, als sich nur einmal im Jahr treffen. Also haben wir den solidarischen Spirit der ndo aufgegriffen und eine postmigrantische Allianz gegründet. So etwas wie das ndo-Netzwerk gab es noch nicht. Für mich sind die ndo eins der spannendsten sozialen Bündnisse unserer Zeit, neben FFF natürlich.

Seit dem rassistischen Mord an George Floyd ist Rassismus zum Medienthema geworden. Siehst du das als eine positive Entwicklung?
Das war tatsächlich Deutschlands erste richtige Rassismus-Debatte. Aber leider wurde der Fokus vor allem auf persönliche Betroffenheit gelenkt: Was haben Sie als Schwarze Person erlebt? Wie fühlt sich das an? Dabei wäre es viel spannender, nach vorne zu blicken: Was muss sich strukturell ändern, damit es nicht nur einzelne Schwarze Menschen, einzelne „Migrant*innen“ nach oben schaffen? Was muss sich ändern, damit wir maximale Chancengerechtigkeit erreichen? Aber eins hat die Debatte gebracht: Viele haben verstanden, dass Rassismus für Millionen von Menschen in Deutschland tatsächlich ein alltägliches Problem ist – auch dann, wenn sie keinen Nazis begegnen. Und wir entwickeln uns langsam sprachlich weiter. Der Begriff Rassismus hat sich endlich durchgesetzt.

In den vergangenen Jahren wurde auch um Begriffe, Selbstbezeichnungen und Gendersternchen gerungen. Du bist selbst Journalistin und weißt um die Bedeutung von Sprache. Wie wichtig war und ist diese Entwicklung, um Sichtbarkeit und gesellschaftliche Reflektionsprozesse in Gang zu setzen?
Es ist wichtig, dass wir Begriffe hinterfragen und diskriminierungsfreie Alternativen suchen. Schon bitter, dass manche Menschen das als Einschränkung empfinden und nicht als emanzipatorischen Schritt. Bei einigen Selbstbezeichnungen und Begriffen würde ich mir allerdings wünschen, dass wir untereinander weiterdiskutieren. Sind die englischen Begriffe „BPoC“ oder „BIPoC“ wirklich geeignet, um die komplizierten Verhältnisse in Deutschland zu beschreiben? Und wie akademisch darf ein rassismuskritischer Diskurs sein, wenn er inklusiv sein soll und sozial benachteiligte Gruppen nicht ausschließen will?

Was ist deine Prognose: Ist die Gesellschaft und Politik auf einem „guten“ Weg in Bezug auf den Abbau von Ungleichheit und rassistischer Diskriminierung? 
Ja, wir machen Fortschritte. Die goldene Zeit des „weißen Mannes“ ist vorbei. Nicht nur Frauen*, auch Migrant*innen, People of Color und Schwarze Menschen werden in der Gesellschaft sichtbarer und stellen laut Ansprüche auf gleichberechtigte Teilhabe. Und sie benennen strukturellen Rassismus. Nicht alle, die sonst laut „integriert euch“ rufen, finden das gut. Man könnte den Rechtsruck der letzten Jahre auch als Reaktion auf diese Fortschritte interpretieren. Trotzdem gibt es auch einen Backlash, den wir sehr ernst nehmen müssen.

Wo werden wir dich ab sofort verstärkt sehen, welchen Aufgaben und Themen wirst du dich widmen? 
Ich bin weiterhin Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen, zusammen mit Thembi Wolf. Und ich will mich 2021 unbedingt mit dem Thema Gastarbeiter*innen beschäftigen. Anlass ist das 60 jährige Jubiläum des „Anwerbeabkommens“ mit der Türkei. Obwohl Türkeistämmige in Deutschland als größte Minderheit gelten, ist wenig über sie bekannt. Zum Beispiel, dass in dieser Gruppe auch Kurd*innen, Jesid*innen, Armenier*innen, Araber*innen, Aserbaidschaner*innen und andere gekommen sind. Auch in anderer Hinsicht war und ist diese Gruppe extrem heterogen. Diese Vielfalt wird bis heute nicht gesehen und oft unter „die türkische Kultur“ subsumiert. Das muss sich ändern.

Was ist deine schönste Erinnerung im Rahmen deiner Arbeit für die ndo?
Jeder einzelne Bundeskongress. Ich habe dort so viel Kraft geschöpft, dass ich einen Monat lang gut gelaunt war. Und ich habe viel gelernt von den wunderbaren Kolleg*innen aus dem Vorstand und der Geschäftsstelle. Ich danke euch sehr dafür!

Gibst du uns etwas mit auf den Weg?
Auch wenn das esoterisch klingt: ich wünsche euch viel Kraft, Licht und Liebe! Weil antirassistische Arbeit echt viel abverlangt. Aber es lohnt sich. Ihr macht das großartig!

 

Danke liebe Ferda!