Anti-asiatischer Rassismus wird in Deutschland erst seit kurzem breiter thematisiert und das auch nur als Folge bzw. im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Ist das historisch betrachtet richtig?
Nein, europäische rassistische Narrative zu Asien, asiatischen Körpern und asiatischen Kulturen lassen sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen; sie sind quasi fester Bestandteil des europäischen Wissenskanons und insbesondere in den Feldern Biologie, Anthropologie, Medizin, Geschichte und auch in Reiseberichten, Missionsberichten, Romanen und Opernlibretti zu finden. Anti-asiatischer Rassismus war auch Teil von deutscher Staatspolitik, es gab Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts deutsche Kolonien in China, Samoa und Neu-Guinea. Weitere Beispiele für anti-asiatischen Rassismus lassen sich in der NS-Zeit und der Wendezeit finden. Nicht zuletzt ist die Schlechterbehandlung von Arbeiter*innen im Kontext der staatlich organisierten Arbeitsmigration aus Japan, Südkorea, Indonesien, Indien und den Philippinen nach Westdeutschland ab Ende der 1950er und aus Vietnam, Nordkorea und der Mongolei, nach Ostdeutschland ab Anfang der 1980er, zu nennen. Und aktuell im Rahmen des neuen Einwanderungsgesetzes sollen wieder Krankenschwestern aus Vietnam, der VR China und den Philippinen angeworben werden – wieder ohne eine Perspektive auf Niederlassung. Die Geschichte der Ungleichbehandlung scheint sich aktuell zu wiederholen, trotz scheinbar neuer Diskurse zu Einwanderung. Die Asiatisch-Deutsche Community ist von Racial Profiling an Transitorten wie Bahnhöfen und Flughäfen, und an zentralen öffentlichen Orten wie dem Alexanderplatz betroffen. Rassistische Narrative werden in den Medien, in Film und Fernsehen und anderen Kulturformaten reproduziert und schaffen Inspiration für das Verweisen von asiatischen Menschen auf eine niedrige soziale Position im Rahmen eines weißen Framings im Alltag. Zusammenfassend lässt sich sagen, die Diskriminierungsformen im Kontext von anti-asiatischem Rassismus reichen von Mikroaggressionen bis hin zu Mord.
Welches sind die rassistischen Zuschreibungen, mit denen asiatisch-gelesene Deutsche überwiegend konfrontiert werden?
Es existieren unterschiedliche Zuschreibungen, je nachdem welche Intersektionen von Strukturkategorien wirken, welche transnationalen Ereignisse in den deutschen Medien kommentiert werden, welche politischen Konjunkturen bestehen. Im Kontext der aktuellen Pandemie findet beispielsweise eine Rassifizierung und Kulturalisierung eines biologischen Phänomens statt, der Virus wird asiatisch-gelesenen Körpern zugeschrieben und asiatisch-gelesenen Menschen wird eine Sündenbockfunktion als vermeintliche Verbreiter*innen des Virus zugewiesen. Geschlechtsspezifisch werden Frauen hypersexualisiert und als „dienend“ und „unterwürfig“ dargestellt, Männer je nach Narrativ als desexualisierte „Kungfu-Clowns“ oder „hinterhältige Kriminelle“. Einige Menschen mit asiatischen Bezügen werden insbesondere aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert oder sind von antimuslimischem Rassismus betroffen.
Die Zahlen verbaler und körperlicher Angriffe auf asiatisch-gelesene Menschen in Deutschland sind seit Ausbruch der Pandemie sprunghaft angestiegen. Kannst du uns dazu aktuelle Zahlen nennen?
Nein, ich habe keine aktuellen Zahlen. Mit korientation sind wir bei der digitalen Plattform ichbinkeinvirus.orgund dem Berliner Register dabei, dort werden Berichte zu Übergriffen gesammelt, aber es werden meiner Einschätzung nach nur ein Bruchteil der real existierenden Vorfälle dort gemeldet.
Welchen Einfluss hatte der Ausbruch von Covid-19 zu Beginn 2020 auf rassistische Angriffe gegenüber asiatisch-gelesenen Menschen in Deutschland und welche Auswirkungen hatte das auf die betroffenen, Asiatisch-Deutschen Communities?
Bei korientation haben wir seit circa Februar 2020 zunehmend Meldungen von Leuten bekommen, die im öffentlichen Raum angespuckt, geschubst und verbal angegriffen oder weitläufig gemieden wurden. Daher haben wir uns auch entschlossen, die bereits erwähnte Plattform ichbinkeinvirus.org mit zu unterstützen und auch Medienberichte mit rassistischem Inhalt zu sammeln. Leute haben erzählt, dass sie Angst davor hatten, öffentliche Verkehrsmittel alleine zu benutzen, es fand ein bewusster Rückzug aus dem öffentlichen Raum statt. Wir denken, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Beginn rassistischer Medienberichterstattung über Corona und dem Beginn von Angriffen gab. Ich bin froh, dass es auch etwas zum Thema Widerstand zu erzählen gibt. Im Laufe des Frühlings 2020 meldeten sich mehrere junge Asiatisch-Deutsche Medienaktivist*innen aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands bei uns, die wir erfolgreich vernetzen konnten. Aktuell arbeiten sie mehrheitlich immer noch zusammen, und es kommen jeden Monat neue dazu. Als eine der Auswirkungen der Zunahme an anti-asiatischem Rassismus seit dem Beginn der Pandemie ist demnach auch die zunehmende bundesweite Vernetzung von Aktivist*innen aus der Asiatisch-Deutschen Community gegen Rassismus zu nennen.
Wenn wir jetzt auf ein Jahr Corona-Pandemie zurückblicken: Hat sich der anti-asiatische Rassismus seit Ausbruch der Pandemie bis heute verändert und wenn ja, in welcher Form?
Ich habe leider keine wissenschaftlichen Vergleichszahlen für den gesamten Zeitraum, um eine präzise Aussage dazu machen zu können. Was sich positiv verändert hat: die Existenz von anti-asiatischem Rassismus wurde im Laufe des Jahres zunehmend anerkannt, wir bekommen mehr Anfragen von Journalist*innen für Interviews, von diversen Bildungsinstitutionen, Festivals und anderen NGOs Anfragen für Vorträge, Workshops und andere Formen von Inputs zum Thema anti-asiatischer Rassismus. Gleichzeitig wünschen wir uns, dass wir auch Anfragen zu anderen Aspekten aus unseren Arbeitsfeldern bekommen, nicht nur zu Rassismus.
Du warst im Herbst letzten Jahres an dem Kooperationsprojekt „Soziale Kohäsion in Krisenzeiten“ beteiligt und hast über den Zusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und anti-asiatischem Rassismus in Deutschland geforscht. Kannst du uns kurz erzählen, was die Ziele der Studie waren und was die Ergebnisse sind?
Ja, ich war von August bis Dezember 2020 in dem Kooperationsprojekt der Berlin University Alliance mit dabei. Ziel der zweiteiligen Studie war die Untersuchung der Frage, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf Rassismus gegenüber asiatisch-gelesenen Menschen in Deutschland hat. Es gab eine quantitative Befragung aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive und darüber wurde untersucht, welche sozialen und psychologischen Faktoren anti-asiatischen Rassismus begünstigen. Diese Befragung wurde unter anderem von Dr. Sabrina Mayer und Dr. Christoph Nguyen konzipiert und durchgeführt. An der Auswertung der Ergebnisse zu dieser Befragung arbeiten sie und weitere Kolleg*innen gerade noch. Ich kann nur erste Ergebnisse zum zweiten Teil nennen, für dessen Konzipierung ich auch verantwortlich war. Im zweiten Teil wurde eine Erhebung mit 703 Personen aus der Community durchgeführt und eine 14-tägige Tagebuchstudie mit 70 Teilnehmenden aus der Community. Von den 703 Personen haben 49% angegeben, dass sie seit dem Beginn der Pandemie von mehr rassistischer Diskriminierung betroffen sind. Der Großteil der rassistischen Vorfälle ereignete sich im öffentlichen Raum, auf der Straße und im öffentlichen Nahverkehr. Von den 70 Teilnehmenden der Tagebuchstudie wurde Diskriminierung unterschiedlichster Art beschrieben, über den Pandemiekontext hinausgehend, von Aggressionen am Arbeitsplatz, Racial Profiling von Freund*innen bei Autokontrollen, Wut und Verletzung über rassistische Videos und Texte in den sozialen Medien. Da wir aber noch in der Auswertung sind, kann ich hier auch noch keine abschließenden Ergebnisse berichten oder zusammenfassen.
Zu anti-asiatischem Rassismus wird – im Gegensatz zu anderen rassistischen Diskriminierungsformen – noch sehr wenig geforscht. Was sind die Gründe dafür?
Infolge des medial vorherrschenden Model-Minority-Mythos der besagt, dass Asiatische Deutsche „Musterschüler*innen der Integration“ sind – passiv, angepasst und quasi „unsichtbar“ – ist anti-asiatischer Rassismus bisher relativ unbeachtet geblieben. Grundsätzlich gibt es aber in Deutschland auch noch keine Professuren wie im angloamerikanischen Raum, die sich explizit mit der asiatischen Diaspora befassen, sei es im historischen oder aktuellen Kontext. Einzelne Wissenschaftler*innen in den Regionalwissenschaften, in Geschichts-, Kultur- oder Sozialwissenschaften arbeiten zu unterschiedlichen Aspekten von asiatischer Migrationsgeschichte, aber die Finanzierung für jedes einzelne temporäre Projekt zu diesem Thema muss mühsam angeworben werden.
Am 16.03.2021 wurden in Atlanta/USA u.a. sechs Frauen aus der Asiatisch-Amerikanischen Community bei einem rassistischen Anschlag durch einen jungen weißen christlichen Fundamentalisten getötet. Ihre Namen lauteten Hyun Jung Grant, Xiaojie Tan, Daoyou Feng, Suncha Kim, Soon Chung Park und Yong Ae Yue. Einen Monat danach hat die Initiativgruppe „Atlanta – war da was?“ in einem offenen Brief u.a. die deutsche Regierung dazu aufgefordert, anti-asiatischen Rassismus und asiatische sowie asiatisch-diasporische Menschen als vulnerable und schutzwürdige Gruppe im „Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus“ anzuerkennen. Was muss sich auf der politischen Ebene ändern, damit anti-asiatischer Rassismus aktiv bekämpft werden kann?
Zunächst die Anerkennung von anti-asiatischem Rassismus als einer der in Deutschland existierenden Formen von Rassismus. Und wie bereits erwähnt, müssen endlich bundesweit und langfristig wissenschaftliche Daten dazu erhoben werden, und dazu müssten Gelder für Stellen zur Verfügung gestellt werden. Parteilichkeit von Personen des öffentlichen Lebens bei rassistisch motivierten Gewalttaten und Interventionen im Alltag sind ein grundsätzlicher Aspekt. Diese Parteilichkeit muss beispielsweise den Polizeikräften von oben verordnet werden, damit Betroffene von Rassismus unmittelbar und ausreichend Unterstützung erhalten.
Welche Veränderungen fordert die Asiatisch-Deutsche Community in diesem Zusammenhang von der Gesellschaft und welche Unterstützung können NGOs leisten?
Die organisierte Asiatisch-Deutsche Community-Landschaft hat sich in den letzten Jahren sehr ausgeweitet und diversifiziert. Ich kann hier daher nur für korientation und mich selbst sprechen. Die Bekämpfung von Rassismus fängt nicht erst mit einem strategischen Umgang mit rassistischer Diskriminierung und Gewalt an. Es müssen mehr Gegennarrative zu Asiatischen Deutschen aus den Community-Perspektiven in den deutschen Wissenskanon eingeschrieben werden. Beispielsweise über die Aufnahme von asiatischen Migrationsgeschichte(n) und deutscher Kolonialgeschichte in das Curriculum von Bildungsinstitutionen wie Schulen, Universitäten und Museen. Es müssen Sensibilisierungsworkshops u.a. für Angestellte im öffentlichen Dienst verpflichtend angeordnet werden; die Anerkennung der Zweiten Generation bzw. von Postmigrant*innen als Deutsche mit gleichen Rechten im öffentlichen (medialen) Diskurs muss von den Politiker*innen und anderen Personen des öffentlichen Lebens mitgetragen werden. Konkret im Feld der postmigrantischen Erinnerungskultur wünschen wir uns ein Denkmal für die Opfer der deutschen Kolonialpolitik; und beispielsweise Gedenktafeln für diejenigen asiatischen Menschen, die in den 1990er Jahren aus rassistischer Motivation ermordet wurden. Weitere Bereiche sind die Förderung von Film- und Theaterstoffen aus der Perspektive von PoCs, in vielen Bereichen macht es Sinn, mit einer Cross-Community-Perspektive zu arbeiten, und diverse Szenarien und Zukunftsvisionen gemeinsam zu entwickeln, über den Tellerrand der asiatischen Community hinaus.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Kimiko!
Kimiko Suda ist ein norddeutscher Fischkopp und gehört mit zu den Dinosauriern bei korientation. Sie ist promovierte Sinologin/Soziologin und interessiert sich für sinophone und asiatisch-diasporische Kontexte, (post)migrantischen Widerstand, queerfeministische Identitäten und Empowerment durch Selbstorganisierung und kulturelle Selbstrepräsentation. Neben ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Referentin in dem Projekt Media Empowerment for German Asians (MEGA) ist sie seit 2019 bei korientation auch beim Kooperationsprojekt Mauergeschichten revisited (Stiftung Berliner Mauer) dabei. Von 2011 bis 2013 und von 2016 bis 2019 war sie Vorstandsmitglied von korientation und leitet seit 2011 – gemeinsam mit ndo-Vorstandsmitglied Sun-ju Choi – das Asian Film Festival Berlin. Im China-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beijing war Kimiko von 2008–2010 als Projektmanagerin tätig und von 2011- 2014 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Chinawissenschaften an der Freien Universität Berlin.