Dr. Dr. phil. Daniele G. Daude engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Mehrfachdiskriminierungen in der Klassischen Musik und im Theater. 2013 gründete sie den Com Chor Berlin und 2016 The String Archestra, das die Werke von Schwarzen und PoC Komponist*innen spielt und fördert.
Daude ist Deutsch-Französische Autorin und Dozentin für Musik und Theater. 2001 schloss Daniele Daude das Musikstudium im Fach Geige und Kammermusik am Conservatoire National (Région Aubervilliers) mit Auszeichnung ab. 2011 promovierte sie im Fach Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin zum Thema „Aufführungsanalyse“ und 2013 im Fach Musikwissenschaft an der Université Paris 8 zum Thema „Opernanalyse“. Seit 2008 unterrichtet Daniele Daude an Deutschen und Französischen Universitäten und Kunsthochschulen, derzeit „Operngeschichte“ an der Freien Universität Berlin.
Liebe Daniele, würdest du dem Satz „In der geförderten Kulturlandschaft fehlt es an Schwarzen Stimmen“ zustimmen? Wenn ja, woran liegt das?
Ja dem stimme ich zu: Es fehlt an Schwarzen Stimmen aber vor allem an Repräsentation, es sind einige Gründe, aber zwei wesentliche davon sind:
Zum einen hängt es damit zusammen, wie und von wem Musikgeschichtegeschrieben wird. Von der Grundschule an wird ein Märchen von weißen männlichen Genies erzählt. Vorausgesetzt wird hier eine Fortschrittsideologie der Geschichts-schreibung, in der Musikwerke „von Natur aus“ nach Qualität selektiert würden. Da die Qualitätskriterien von weißen cis Männern des kulturellen Bildungsbürgertums festgelegt werden, ist es auch nicht verwunderlich, was dabei rauskommt: alles was nicht weiß, cis, männlich, bildungsbürgerliche Werte vertritt etc., fällt einfach raus. Damit werden viele Komponist*innen und Interpret*innen, nicht nur Schwarze und PoCs, von Anfang an aktiv ignoriert oder disqualifiziert.
Zum anderen fehlt es an Sichtbarkeit und Vorbildern. Wenn ein Schwarzes Kind in ein klassisches Konzert oder in die Oper geht und niemanden sieht, dem*der es ähnlich ist – wie soll es darauf kommen, dass es Schwarze Musiker*innen, Opernregisseur*innen Dirigent*innen, Musikwissenschaftler*innen oder Komponist*innen gibt?
Zusammengefasst: Schwarze Stimmen sind da, wurden und werden aber immer noch unsichtbar gemacht. Menschen werden nicht archiviert. Ich gebe mal ein Beispiel: Es gibt einen spannenden Schwarzen Dirigenten, Dean Dixon, der über 16 Jahre beim Hessischen Rundfunk war. Niemand kennt ihn. Wenn man so etwas im 20. Jh. bereits beobachten kann, kann man sich vorstellen, wie es mit Interpret*innen und Komponist*innen des 19.Jh., 18.Jh., 17.Jh., 16. Jh. aussieht.
Seit der BLM-Bewegung 2020 gibt es einen Diversity–Trend. Schwarze Menschen werden mehr portraitiert. Allerdings wird Schwarzsein in der klassischen Musik mit US-Amerikaner*innensein gleichgesetzt. Es werden folgerichtig immer die 2, 3 gleichen US-Amerikaner*innen, die in Deutschland leben, porträtiert. Wieder findet eine Unsichtbarmachung von Schwarzen Menschen, die Deutsche oder Europäer*innen sind, statt. Deren Erfahrungen werden schlicht negiert.
Welche Rolle spielt die klassische Musik in Deutschland überhaupt, hat diese eine Sonderposition (im Sinne einer Unterteilung der „Hochkultur“ in versch. Sparten)?
Der Zugang zu klassischer Musik hatte immer viel mit Status zu tun, das zeichnet möglicherweise die Sonderposition aus.
Die Konzertkultur der klassischen Musik, so wie sie heute existiert, entstand erst im 19. Jahrhundert. Sie wurde vom und für das Bildungsbürgertum kreiert. Es ist also ein sich selbst reproduzierendes Klassensystem. Was die Oper angeht, diese entstand aus höfischer Musik-Kultur und wurde erst im 18. Jh. von dem sich herausbildenden ökonomischen Bürgertum für sich entdeckt und in Anspruch genommen. Dort ging es offen darum, „gesehen zu werden“.
Welche Schwierigkeit bedeutet dies für BIPoC?
Es ist für BIPoC wesentlich schwieriger, in Deutschland Zugang zur klassischen Musik zu finden, als für weiße Menschen. Denn es gibt generell sehr viele verschiedene Zugangsbarrieren: Blicken wir zurück in die Schule, die allererste Barriere tritt schon beim Lernen des Notenlesens auf. Viele lieben Musik, aber scheitern daran. Hier wird also schon früh massive Selektion durch die Schrift betrieben.
Die zweite Barriere tritt durch den fehlenden Informationszugang auf. Viele Informationen werden nicht weitergeleitet, bleiben innerhalb der Bildungsbürgerschicht. Wenn es darum geht, wie man an ein Instrument kommt, an Unterricht, an Förderungen. Es gibt Förderungen dafür, sich Instrumente sehr günstig oder gratis auszuleihen. Wenn man das aber nicht weiß, kommt man natürlich nicht auf die Idee.
Und dann, je weiter man innerhalb der Klassischen Musik vorankommt, desto mehr tritt natürlich die finanzielle Barriere in den Vordergrund. Klassische Musik ist teuer. Wenn Mensch keine Mentor*innen hat, die eine*n fördern und die helfen, sich in dieser sehr kodierten Welt zu orientieren, ist das sehr schwierig.
Wenn Du erstmal in die Musikhochschule kommst, dann hängt auch hier Dein Schicksal wieder von Lehrer*innen ab. Sie entscheiden, ob Du es weiterschaffst oder nicht. Das sind sehr weiße und patriarchalische Strukturen.
Wenn du trotz alldem dein Diplom an der Musikschule schaffst, kommt die nächste Barriere: die Bewerbungen an Orchestern. Bei Berufsorchestern läuft die Bewerbung so ab: als frische*r Absolvent*in sendest Du deinen CV an offene Stellen. Schon hier findet eine massive Selektion aufgrund deines Lichtbildes, deines Nach-, und Vornamens, deines Alters etc. statt. Besser ist es, wenn du bereits Schüler*in eines Orchestermitglieds, oder „das Kind eines anderen Orchesters Mitglieds“ oder in der Akademie des besagten Orchesters bist. Wenn Du das mirakulöser Weise schaffst, kommt das Probespiel. Eine Aufnahmeprüfung in drei Runden. Hier entscheidet eine kleine Gruppe (Stimmführer*innen, Vorsitzende etc.), ob eine neue Person dazu „passt“. „Passen“ wird mit „passende Mentalität“ begründet. In der Praxis bedeutet dies: alte weiße Männer suchen sich eben am liebsten andere weiße Männer zum Mitspielen aus[1].
Würdest du aufgrund deiner Erfahrung sagen, dass in Deutschland und Frankreich unterschiedlich mit marginalisierten Gruppen in der klassischen Musik umgegangen wird? Kann Deutschland etwas von Frankreich lernen?
Nein, es gibt nicht wirklich einen Unterschied.
Was beide Länder vereint, ist eine vehemente Verweigerung, sich mit der eigenen Kolonialgeschichte, deren Kontinuität und den gesellschaftlichen Folgen auseinanderzusetzen. In Frankreich ist das Wort Rasse ja aus dem GG gestrichen worden, wodurch Aktivist*innen gar keine Grundlage mehr haben, gegen Diskriminierung juristisch vorzugehen. Beim Umgang mit Diskriminierungen an Musikschulen, Musikhochschulen, Universitäten, gibt es sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen Frankreich und Deutschland. Vor allem in dem Willen, nichts zu tun oder sogar so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre. Sich als Päpste der Diversität darzustellen.
Auch in Frankreich ist der Zugang zur klassischen Musik sehr teuer, es gibt sehr lange Wartelisten für Musikunterricht. Außerdem mangelt es an Informationen, es gibt nicht wirklich Informationen darüber, wie wird Mensch zum Berufsmusiker*in? Welche Ansprechpartner*innen sind wichtig? Welche Wege werden unausgesprochen erwünscht? etc. Was ich im Vergleich mitbekommen habe, ist, dass es auch in Deutschland sehr lange Wartelisten für den Musikunterricht gibt und sich das Angebot der Musikschulen vor allem an Kinder richtet. Erwachsene, die gerne ein Instrument lernen möchten, werden nicht mitgedacht und sind teilweilweise sogar offen nicht gewünscht.
Was Deutschland von Frankreich lernen kann? Wir brauchen mehr sichtbare Vorbilder in Deutschland. In Frankreich gibt es das Orchestre National de Radio France, hier gibt es eine Schwarze Konzertmeisterin, Ann-Estelle Meduse. Ich kenne in Deutschland zwar Konzertmeister*innen (in Berufsorchestern) aber die sind alle weiß. Dann gibt es noch die Dirigentin Zahia Ziouani, die vor ca. 20 Jahren ihr eigenes Orchester, das Orchester Divertimento, gegründet hat. Es gibt also zumindest zwei Vorbilder in Frankreich, die sichtbar sind.
Mit dem String Archestra setzt du dich gegen Mehrfachdiskriminierung in der klassischen Musik ein – erzähl uns doch bitte kurz von diesem Projekt.
Das String Archestra ist ein BIPoC-Ensemble, bestehend aus aktuell 10 Musiker*innen, dessen Schwerpunkt darauf liegt, Schwarze und PoC Komponist*innen zu spielen. Diesen Schwerpunkt gibt es sonst nirgends.
Das String Archestra ist aus Müdigkeit entstanden. Ich habe sehr lange in Berufs- und Amateurorchestern gespielt. (Das wäre auch nochmal ein Thema für sich: Diskriminierung in deutschen Amateurorchestern). Ich war sehr müde und stand vor folgender Entscheidung: entweder juristisch gegen das Orchester vorzugehen, das mich jahrelang gemobbt hatte, oder etwas ganz anderes zu machen. Das Problem ist, dass es immer noch keine Antidiskriminierungsstelle, weder für Profi- noch für Amateurorchester, gibt. Daher ist es eine krasse Entscheidung, juristisch gegen ein Orchester vorzugehen. 2016 habe ich zum ersten Mal eine andere Schwarze Geigerin kennengelernt. Wir wollten eigentlich nur Quartett spielen. Ich habe dann eine Anfrage auf Facebook geschaltet und du kannst dir nicht vorstellen, was passierte! Von überall her aus Deutschland haben sich einzelne Musiker*innen gemeldet, die gerne Kammermusik machen wollten. Alle möglichen Streich- und Blasinstrumente meldeten sich aus Münster, Bremen, Stuttgart, München, Lübeck, Potsdam etc. Es gab also einen sehr starken Bedarf. Ich habe damals gemerkt, dass ich nicht allein bin, was auf der einen Seite schön war. Allerdings bedeutete dies zugleich, dass viele Schwarze und PoC Musiker*innen in Profi- und Amateurorchestern rassistisch diskriminiert werden, was nicht besonders schön ist in einem Land, das sich so Anti-rassistisch inszeniert. Wir brauchen dringend eine Antidiskriminierungsstelle, die juristisch gegen Diskriminierungen in den Orchestern klagt und gewinnt.
Du willst mit dem String Archestra Musikgeschichte schreiben?
Eigentlich nicht. Mir geht es darum, eine Erinnerungskultur zu schaffen und dabei die Epistemizide der Musikwissenschaft, der Konzert- und Opernhäuser offenzulegen. Entscheidungsträger*innen leugnen seit Jahrzehnten Lebensrealitäten, Kunst und Wissensproduktion von Künstler*innen aufgrund von „Race“, Klasse, Gender, Religion etc. Die „Argumente“ mit denen Schwarze und PoC Komponist*innen ausgeschlossen werden, sind Teil eines kaum erträglichen Überlegenheits-Diskurses in der Kulturlandschaft. Es ist an der Zeit, diese zu hinterfragen. Musikwissenschaft und Musikgeschichte sind eben nicht neutral. Sie werden von Menschen gemacht, die in der Gesellschaft eine besondere Position haben, nämlich: bildungsbürgerlich, weiß, cis, eher konservativ. Diese Personen haben null Interesse an ihren Schwarzen und PoC Mitmenschen. Außer wenn es darum geht, ein breiteres zahlendes Publikum, das das alternde, schrumpfende Konzertpublikum nachhaltig ablösen soll, zu schaffen. Und sie wundern sich auch noch darüber, warum deren sporadische Diversitätsprojekte nicht klappen. Schon lustig, wenn es nicht so traurig wäre…
Es gibt sie, die Schwarzen und PoC Komponist*innen. Ob aus Europa, Nord- und Südamerika, aus dem Afrikanischen Kontinent. Seit dem 16. Jahrhundert. Mit diesem Ansatz haben wir für die nächsten 15 Jahre genug Repertoire. Letztes Jahr haben wir den nigerianischen Komponist Fela Sowande gespielt. Keiner kennt ihn hier, obwohl er ein großer Organist gewesen ist. Es gibt sehr sehr viel zu tun, was Kanon und Repertoire angeht – nicht nur in Deutschland.
Eine weitere Kritik am Musikbetrieb ist dessen Musealisierung und Kanonisierung. Wir sind hier im 19. Jh. hängengeblieben. Davor sah Musikpraxis jedoch ganz anders aus. Es wurden überwiegend zeitgenössische Komponist*innen gespielt, die ihre Werken teilweise selbst gespielt oder aufgeführt haben. Wenn man sich nicht mit der Geschichte des ökonomischen, kulturellen und politischen Bildungsbürgertums auseinandersetzt, fehlt das Verständnis des Umfelds, das großes Interesse daran hat, Kategorien wie Klasse, Race, Sex etc. festzulegen und entlang dieser dann zu diskriminieren. Dieses Bildungsbürgertum ist eine extrem gewaltvolle Kaste, die sich reproduziert und eigene Kultur erzeugt. Dasselbe gilt für Theater, für Literatur, für zeitgenössische Kunst.
Mit dem String Archestra wirken wir dem entschieden entgegen. Wie bewegen uns außerhalb jeglicher Musealisierung, Applaus und Kleidungs-Rituale oder „kanonischer Standards“. Wir spielen dort, wo wir, unsere Freund*innen und Familie wohnen: in Neukölln und Kreuzberg. Seit 2019 bauen wir auch die Zusammenarbeit mit jungen zeitgenössischen BIPoC-Komponist*innen auf. Bisher mit Shannon Sea, Anthony R. Green und im November 2021 mit der britischen Cellistin und Komponistin Ayanna Witter-Johnson.
Nicht nur mit dem String Archestra, sondern auch mit deinem anderen Projekt, dem Com Chor, setzt du dich gegen Mehrfachdiskriminierung aufgrund von Klasse, sexueller Orientierung, sozialökonomischer Position, Gender, Performance von Gender etc. ein?
Ja, den Com Chor habe ich 2013 aus dem Wunsch heraus gegründet, Musik ohne Noten zu machen. Ein Chor von Freund*innen wurde aufgelöst und diese haben mich gefragt, ob ich einen neuen Chor dirigieren möchte. Hier ging es um Musik, die ich weniger kannte, daher hatte ich erstmal große Berührungsängste. Es ging um Popmusik. Sie haben dann Lieder vorgeschlagen und ich habe sie 2-, 3- und 4-stimmig arrangiert. Der Chor ist dann gewachsen und aus dem Grund, dass ich eine Schwarze queere Person bin, kam auch meine eigene Community dazu.
Ich habe immer wieder gemerkt, wie sehr Noten lesen Menschen ausschließt. Es gibt so viele talentierte Personen, die sich deshalb nicht trauen. Später entwickelte ich daraus ein eigenes pädagogisches Konzept. Musik machen funktioniert ohne Noten! James Brown hat auch keine Noten gelesen und war ein großartiger Musiker. Noten sollen eigentlich eine Hilfe sein. Stattdessen werden sie als Zugangsbarriere missbraucht. Mit dem Chor entstand also eine BIPoC-Community, die zusammen singt.
„Chöre haben normalerweise eher das Problem, zu laut zu sein, bei uns ist es eher anders herum.“
Amateurchöre haben das gleiche Problem wie Amateurorchester. Es sind ebenso weiße Bildungsbürger*innen. Sie sind Lehrer*innen, Mediziner*innen, Jurist*innen, Freiberufler*innen etc. Wenn du als einzige Schwarze Person/PoC, queer, mit Arbeiter*innen Background, in einem weißen Chor singst, kann das schnell unschön werden. Die Stimme ist ja das persönlichste Instrument überhaupt. Wenn du dich dort nicht wohl fühlst, dann verstummst du. Im wahrsten Sinne des Wortes. Menschen erzählen immer wieder von denselben Erfahrungen in Chören. Sie erzählen von Stigmatisierungen wie „Du bist Schwarz, dann singst du bestimmt total gut“. BPoC werden sehr exponiert. Auf sie wird viel projiziert, es wird viel vorausgesetzt und von ihnen erwartet. Wehe, wenn du diesen Erwartungen nicht entsprichst oder – schlimmer noch – diese „enttäuscht“.
Menschen kommen auch im Chor an und sagen „Ich kann nicht singen“, weil sie das jahrelang gehört haben, dass sie als Schwarze Person nicht „gut genug“ singen. Viele haben gemeinsam, dass sie ganz leise sind. Chöre haben normalerweise eher das Problem, zu laut zu sein. Bei uns ist es genau andersrum. Es geht erstmal darum, die eigene Stimme zu finden und laut zu werden. Und das ist sehr repräsentativ dafür, wie man sich fühlt als Schwarze und PoC Person. Mittlerweile gibt es auch eine Chorleitungsgruppe. Ich unterrichte dort die nächste Generation im Dirigieren und in Chorleitung, damit sie selbständig und allein weitermachen können.
Das Feld der klassischen Musik ist in der allgemeinen Wahrnehmung ein Spielfeld der bessergestellten (weißen) Menschen. Es braucht ein (teures) Instrument und regelmäßige Übungsstunden, die ebenfalls Geld kosten. Wie lassen sich diese Zugangsbarrieren abbauen? Ich habe sehr viele Ideen für nachhaltige Änderungen und Barrieren Abbau.
- Mehr Information: wie komme ich an ein Instrument, wie komme ich an Unterricht, wie mache ich das alles?
- Mehr Geld: Wir brauchen viel mehr Förderung für nachhaltige Projekte, nicht nur für kurzfristige Initiativen. Und auch erwachsene Menschen sollten in Bezug auf den Zugang zur Musik gefördert werden, nicht nur Kinder. Es gibt genug Gelder, diese müssen nur richtig verwendet werden.
- Wir brauchen dringend eine Antidiskriminierungsstelle. Es gibt sehr viel Machtmissbrauch in mehrfacher Hinsicht im Bereich der klassischen Musik.
- Mehr Intersektionalität: Frauen in Orchestern werden aktuell bereits thematisiert, aber marginalisierte Personen werden immer noch ausgeklammert.
- Eine Studie und Statistik mit konkreten Zahlen zu BIPoC in der klassischen Musik. Dann können wir über nachhaltige Änderungen sprechen.
Kannst du wegweisende Projekte empfehlen, die bereits existieren?
Ja, aber nicht in Deutschland. Hier sind Projekte nett gemeint aber sehr paternalistisch und sporadisch, nicht nachhaltig. Solange Impulse aus weißen patriarchalischen Strukturen kommen und Menschen denken „Wir tun etwas Gutes, wenn wir Hochkunst nach Neukölln bringen,“ funktioniert es nicht. Veränderungen kommen nur von BIPoC selbst.
In den UK kann ich etwas Tolles empfehlen. Dort existieren Statistiken über den Anteil von nichtweißen Personen in Profiorchestern. Eine solche Studie zeigte 2010 glaube ich, dass ca. 6% der Musikhochschulabsolvent*innen BIPoC sind. Aber nur 1% werden in Profiorchestern eingestellt. Aus diesem Gap hat die Kontrabassistin Chi-chi Nwanoku 2015 das Chineke! Orchester gegründet. In dem Programm gibt es auch ein Nachwuchsprogramm und das ist eigentlich das Interessanteste, weil hier BIPoC Kinder ganz toll gefördert werden. So sieht nachhaltige Arbeit aus: die erste Generation ist schon sichtbar, die zweite kann dann durch BIPoC Mentor*innen gefördert werden.
Was wünscht du dir? Hast du Forderungen?
Ich wünsche mir mehr Druck! Es muss Druck ausgeübt werden, wie zum Beispiel mit einer Quote. Ansonsten ändert sich nichts. Alte weiße Männer schreiben weiterhin Musikgeschichte für andere weiße Männer. Solange „Veränderungen“ aus patriarchalischen Strukturen und Institutionen kommen, kann es nur nach hinten losgehen. Wie schon gesagt, brauchen wir definitiv 1) eine Antidiskriminierungsstelle, 2) eine Studie 3) eine Quote 4) Förderung für BIPoC. Und damit meine ich nicht die unqualifizierten weißen Frauen, die Gelder für ihre „Diversitäts“-Projekte erhalten. In Berlin existiert seit 5 Jahren ein BIPoC-Orchester, das nicht gefördert wird. Das ist die Realität der heutigen Kulturlandschaft.
DANKE für das Gespräch, liebe Daniele!
Ihr wollt mitmachen?
Infos zum String Archestra gibt es hier: https://www.thestringarchestra.com
Zum ComChor hier entlang: https://com-chor.de
[1] Sieh Studie zur Verteilung der Geschlechterrollen in Orchester März 2021. Diese belegt dass Stimmführungen zu 70% von Männern besetzt werden und Instrumentengruppen wie Pauke, Posaune, Tuba, Kontrabass zwischen 85% und 98% männlich besetzt werden.