“Sobald man sichtbar ist, fühlt man sich bedroht” Im Gespräch mit Liban Farah und Ferat Koçak über Gewalt an Politiker*innen

Vor drei Jahren wurde der hessische Politiker Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten ermordet. Eine Zäsur, denn es handelte sich um den ersten rechtsextremistischen Mord an einem Politiker in der Nachkriegszeit. Es ist aber bei weitem nicht der erste versuchte Mord. Schon seit Jahren klagen Kommunalpolitiker*innen über Drohungen und Gewalt. Zwei Drittel der Befragten Bürgermeister*innen in Deutschland gaben etwa in einer Studie des Forsa-Instituts an, ihr Verhalten aus Sorge vor Angriffen zu verändern, und ein Fünftel dachte darüber nach, sich wegen Sicherheitsbedenken aus der Politik zurückzuziehen. Auch politisch Aktive Menschen ohne Amt sind davon betroffen, wie das DeZIM Institut zeigte. Und BPoCs sind von rechter Gewalt besonders betroffen und werden umso schneller zur Zielscheibe.

Wir haben mit zwei Politiker*innen darüber gesprochen, wie solche Gewalt sich auf BPoCs auswirkt, die in der Politik aktiv werden wollen. Liban Farah, SPD-Politiker im Landesverband Hessen, ist Politikwissenschaftler und Experte für Antidiskriminierung. Ferat Koçak, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für die Linksfraktion, überlebte 2018 selbst nur knapp einen Brandanschlag.

Portrait Lübcke

Wie hast du den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten und CDU-Politiker Walter Lübcke wahrgenommen?

Liban: Wenn man als schwarze Person Politik gestaltet, ist es egal ob man ein Amt hat oder nicht – sobald man sichtbar ist, fühlt man sich bedroht. Das betrifft nicht nur Kommunalpolitiker*innen, sondern alle BPoCs, die politisch aktiv sind. Auf BPoCs in politischen Ämtern kommt mit konkreten Drohungen dann eine neue Dimension hinzu.

Ferat: Das war für mich ein Schock, aber nicht, weil es einen rechtsterroristischen Mord gab, sondern weil sie jemanden aus dem konservativen, weiß-bürgerlichen Spektrum umgebracht haben. Das hat mich schockiert. Der Mord an Walter Lübcke hat dazu geführt, dass ich denke, da kann jederzeit jemand um die Ecke kommen und mir wegen meines Engagements eine Waffe an den Kopf halten und mich erschießen. Ich bin ja selber Betroffener eines rechten Anschlags, und die Täter*innen sind immer noch auf freiem Fuß und leben immer noch in Neukölln.

BPoC sind in der Kommunalpolitik kaum präsent. Hängt dies auch mit dieser zusätzlichen Bedrohungslage zusammen, wenn diese Ämter übernehmen? 

Liban: Unterstützung fängt lange vor der konkreten Bedrohung an. BPoCs in der Politik fühlen sich manchmal allein gelassen, weil es gefährlich sein kann alleine dazustehen als BPoCs. Viele, die Lust hätten sich zu engagieren, werden aber auch nicht aktiv genug beispielsweise bei Listenerstellungen angesprochen. Man müsste die Leute da frühzeitig einbinden. Die Unterstützung durch lokale Verbände und lokale Organisationen ist sehr wichtig, um zu zeigen, dass politisch aktive BPoCs nicht alleine stehen und mit Solidarität rechnen können.

Ferat: Für BPoCs ist ein öffentliches Amt, sogar eine Kandidatur erstmal riskant, man zeigt sein Gesicht, den Namen, sogar die Adresse ist auffindbar. Man tritt aus der Anonymität raus und das ist riskant. Da kommt bei einigen der Gedanke: Ich habe Familie, ich bringe sie damit in Gefahr. Bis sie sich dann entschieden haben, trotzdem ein Amt zu übernehmen, haben andere Leute schon gesagt, wir machen das. Bei mir war es ja so, dass meine Eltern bei dem Brandanschlag hätten sterben können. Ich wollte mich erst zurückziehen, weil ich Angst hatte um meine Eltern, nicht um mich selber. Meine Mutter hat dann gesagt, wir lassen uns nicht einschüchtern, wir machen weiter.

Wie kann eine Unterstützung von BPoCs gegen Gewaltdrohungen in der Politik aussehen?

Liban: Gewalt und Bedrohungen stellen die größte Gefahr dar für unsere Demokratie. Neben Solidaritätsbekundungen muss es deswegen auch Strukturen innerhalb politischer Organisationen geben, um mit Bedrohungen von BPoCs und FLINTA umzugehen. Eine Ansprechperson kann diese beispielsweise beraten, sowohl präventiv als auch nach Gewalterfahrungen. So stehen diese weniger alleine da.

Ferat: Die Politik muss Forderungen von Betroffenen umsetzen. In der Opferberatung heißt das, Projekte wie der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sollten viel mehr Geld erhalten.  Außerdem muss eine echte Aufklärung rechter Gewalt stattfinden – zum Beispiel indem NSU Akten freigegeben werden. Ohne solche Schritte handelt es sich nicht um echte Aufklärung, sondern um politische Manöver. Durch Aufklärungsversprechen ohne echte Handlungen geht aber Vertrauen verloren.

Macht der Staat genug gegen Bedrohungen von Politiker*innen?

Liban: Ich denke, dass Demokratie mehr Ressourcen braucht, und dass dieser notwendige Schutz von Betroffenen in den nächsten Monaten und Jahren viel mehr im Fokus stehen wird. Derzeit tut der Staat nicht genug gegen diese Gewalt. Es fehlt an notwendigen Strukturen, an Personal und Geld, um dagegen vorzugehen. Dieses Thema ist lange überfällig und muss dringend angegangen werden.

Ferat: Nach dem Mord an Walther Lübcke dachte ich, dass der Aufklärungswille deutlich größer wäre. Meiner Meinung nach hat sich aber nichts getan. Ein Problem ist, dass der Staat allgemein wenig gegen die Bedrohung durch Rechts macht. Die Forderungen der Initiative 19. Februar in Hanau verhallen, der Untersuchungsausschuss zeigt kaum Fortschritte. Als Antirassist*innen und Antifaschist*innen kämpfen wir darum, dass das Thema öffentlich bleibt und dass Rechtsextreme in Behörden aufgedeckt werden, damit Rechtsextreme auf der Straße nicht geschützt werden können. Die Politik macht da ganz klar zu wenig.

Liban Farah ist Politologe, Kommunalpolitiker in Marburg und Experte für Antidiskriminierung und Diversity. 

Ferat Ali Koçak, antirassistischer Aktivist aus Berlin Neukölln und Politfluencer auf Social Media unter dem Namen @der_neukoellner. Seit 2021 ist er Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und Sprecher für Antifaschistische Politik und Klimapolitik der Linksfraktion. Seine Familie und er überlebten 2018 nur durch viel Glück einen rechten Brandanschlag.